Kunst ist Kunst ist Kunst?

Ok. Auf Tumblr veröffentliche ich ja fast ausschließlich Bilder, folgerichtig „folgen“ mir dort auch hauptsächlich Bildinteressierte, Galerien, ’n Kunstverein und sowas.

Achtung, Vollbremsung (Quiiiiietsch): Hier muss ich kurz abbiegen, um zu sagen, dass ich das Wort „folgen“ total bescheuert finde. Abonnieren auch, aber folgen noch viel mehr. Da ich ja nicht passiv-aggressiv kritisieren will, hab ich natürlich als aufgeschlossener, moderner Mensch drüber nachgedacht, was besser wäre. Hab nix gefunden. War dann erstmal abgenervt. Das hab ich davon, dass ich unbedingt „konstruktiv“ kritisieren musste. Wieso lass ich mir so’n Mist auch einreden? Was ist denn so schlimm am Meckern und Nörgeln? Und überhaupt, wenn ich während des Nörgelns mir das Nörgeln schon mit einer fröhlich-konstruktiven Lösung verderbe, dann kann ich ja auch gleich ganz positiv durch’s Leben gehen. Und wer will das schon? Also werde ich in Zukunft einfach nur Nörgeln, ohne dazu passenden Verbesserungsvorschlag. Mal schauen, wie lange ich das aushalte! Aber im Ernst: Es ist echt schwer was besseres als „folgen“ zu finden: „Besuchen“ ist so pseudo, Anhänger so Sport, Interessent so Makler, Freund so anbiederisch. Vielleicht fällt mir noch was ein. (da – habt Ihr’s gemerkt? Da hat der konstruktive Optimismus schon wieder hervorgelugt. Mann, bin ich eingenordet!). Da fällt einem nix mehr zu ein!

Oh, aber dafür zu was anderem. Fällt mir was ein, meine ich. Ihr wisst ja, dass ich allergisch bin auf leere Wohlfühlhülsen. Heute hab ich auf Twitter eine gesehen, die einen heftigen und akuten Allergieschub ausgelöst hat

So ein seichter Mist! Wo bleibt denn da der Spaß? Die Liebe zur Sprache? Also, für mich ist das ein typisches Einkerkern von Geist. Das typisch amerikanische, stromlinienförmige Funktionieren. Das ist ein guter Ratschlag für Reporter oder für Leute, die Bestseller nach einer Formel schreiben. Das passt für Journalisten, die einen klaren Auftrag haben und Informationen transportieren müssen/wollen, aber das finde ich einen ganz schlechten Tipp für jeden anderen der schreibt und/oder Sprache liebt. Ich hasse diese platten Tüden, die auf den ersten Blick so „vernünftig“ klingen und zum Retweeten auffordern, weil sie so sicher, allgemeinplatzig und praktisch sind, aber darunter verborgen ist ein Beschränken der Phantasie, des Geistes und der Verschrobenheit. Eine Gleichschaltung. Gruselig! Im Wörterbuch oder in Lexika auf Entdeckungsreise zu gehen ist total aufregend, schön und bereichernd.

Ok. Nu aber husch, husch, schnell zurück zum Thema! Also, wie gesagt: Auf Tumblr beschäftige ich mich überwiegend mit Kunst und mit bizarren, absurden, witzigen Ideen, Filmen und Zeichnungen, die man unter dem Überbegriff Humor zusammenfassen könnte (und da gibt es echt tolle und zauberhafte Sachen, Leute). Dann hab ich heute folgendes Bild gesehen

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Frank Stella:Gray Scramble
Mir ist dann ein instinktives Verhalten an mir aufgefallen, das mich schon ein paar Mal gestört hat, das ich aber bis jetzt nicht genau ausdiskutiert und angeschaut hab:

Wenn ich ein Bild sehe, das mit Formen und/oder Farben gemalt ist, bewerte ich das instinktiv und initial immer erst mal niedriger, als ein Bild, das aus realen Dingen besteht. Ich hab bei ganz vielen anderen Leuten ein ähnliches Verhalten bemerkt. Das finde ich merkwürdig, vor allem bei mir selbst, da ich selber ja auch hauptsächlich in Farben und Formen male und aus ureigenster Erfahrung weiß, dass ich auch mit Farben und Formen eine klare Botschaft habe, eine Geschichte erzähle und dass es genau so schwierig ist mit Farben und Formen etwas auszudrücken, wie mit realen alltäglichen Formen. Zwar dauert bei mir diese initiale Abwertung nur kurz, aber dass ich sie überhaupt habe, stört mich.

„Selbst mein Hund kann das besser!“
Ich hab dann überlegt, warum wir wohl so leicht abschätzig über abstrakte Kunst urteilen und man Sprüche hört wie „Das kriegt mein 4-jähriger auch hin“. Ich glaube ein Grund ist, dass wir alle ein Quadrat, einen Kreis, ein Dreieck malen können, aber nur wenige können einen menschlichen Körper oder ein Spiegelei anatomisch korrekt zeichnen. Daher denken wir in dem einen steckt Handwerkskunst und in dem anderen nicht. Ohne zu bedenken, dass die abstrakte Kunst ja genauso erdacht, erfühlt und erschaffen werden muss, wie jede andere Kunst.

„Der liederliche Künstler, der die braven Bürger beschuppst“
Und dann schwingt in so einer Beurteilung auch oft eine Missachtung, ein generelles Misstrauen dem Künstler gegenüber mit. Ich kann verstehen, dass nicht jeder Zugang zu abstrakter Kunst findet, das ist total normal, was ich nicht in Ordnung finde, ist, wenn dann anderen abgesprochen wird, dass ihre Kunst „echt“ ist.

Ich hatte vor Jahren einen wochenlangen Leserbriefkampf mit einer Person, die dem Maler eines monochromen Bildes unterstellt hat, er hätte das Bild gemalt, um Geld von dummen Kunstgläubigen abzuzocken. Wie immer trifft hier zu: Wir trauen anderen das zu, was wir selbst tun würden. Somit hat diese Person natürlich mehr über sich selbst ausgesagt, als über den Maler. Nachdem ich das der Person an den Kopf geknallt hatte, hab ich mich anschließend auch noch ernsthaft zum Thema geäußert: Dass ich persönlich zwar nix fühle für monochrome Bilder, dass ich mir aber total gut vorstellen kann, dass jemand unsere moderne Welt, in der nichts mehr von Bestand zu sein scheint, in dem wir uns immer mehr von allem entfremden, genau so wahrnimmt: Als einen großen, brennend roten Block. Oder eine weiße Leere. Auch, wenn es keinen Leserbriefkampf-Schiedsrichter gibt, fühle ich noch heute, wie mein Rücken paar Zentimeter grader wird, wenn ich an diesen aus meiner Sicht klaren Punktesieg zurückdenke. Ach ja, unsere kleinen, kindlichen Siege….

„Sein oder Sehen“
Und das bringt uns zum alles entscheidenden Unterschied und damit auch Grund für die unterschiedliche Bewertung von abstrakter und reeller Kunst:

Das eine, die reelle Kunst, zeigt uns ein bereits klar gedeutetes Bild in einer Sprache, die wir verstehen. Wir müssen nichts selbst erkennen. Uns wird vorgesagt, was wir sehen und wir sehen auch alle erstmal das selbe. Somit kann jeder Zugang finden zu dieser Kunstform. Wir haben dann, in einem zweiten Schritt die Möglichkeit das Dargebotene genau so zu nehmen, wie es ist oder es um unsere eigene Erfahrungs- oder Gefühlswelt zu erweitern.

Beim anderen, der abstrakten Kunst, geht es weniger um die Aussage, die Darstellung, sondern mehr um die Komposition, das Zusammenspiel der verschiedenen Komponenten, es wird ein Gefühl, eine Idee, ein Zustand ausgedrückt und geweckt. Praktisch wortlos.

  • Somit ist beim ersten, der reellen Kunst, eine eigene Beteiligung möglich, aber nicht notwendig, um das Bild zu erfahren
  • Während beim zweiten, der fiktiven, abstrakten Kunst, die eigene Beteiligung Grundvoraussetzung ist, um das Bild überhaupt erfahren zu können

„Ich seh da nix. Schau doch, da. Wo? Da! Ach so!!!“
Und damit wird eigentlich total klar, warum sich abstrakte Kunst manchen einfach nicht erschließen kann. Ganz einfach: Nicht jeder hat die gleiche Vorstellung, Vorstellungskraft oder das gleiche Einfühlungsvermögen.image Ich glaube, dass bestimmte Menschen, denen nicht nur der Zugang, sondern zusätzlich auch noch die Imagination und die Empathie fehlen, wirklich nichts anderes sehen als Farben und Formen und daher abstrakte Kunst in ihren Krämerkaufmannsseelen direkt als Geldmacherei und Verarschung abhaken.

Ich kann die verstehen, die in abstrakter Kunst einfach nichts sehen, nichts erkennen. Kein Thema. Wir alle nehmen unterschiedlich wahr. Ich habe aber immer unter denen gelitten, die auf anderer Leute Gefühle, Kunst und Werk herumtrampeln, die dröge alles in die Niederungen eines Preis/Leistungs-Verhältnis hinab zerren müssen, nur weil sie es nicht verstehen. Wenn ich es mir aber so vorstelle und erkläre, kann ich es ein bissle besser akzptieren und weniger persönlich nehmen. Ich finde das tröstlich. Ergibt das Ganze auch für Euch einen Sinn?

P.S. Ich bin kein Kunsthistorikermensch, daher benutze ich hier meine eigenen Beschreibungen, wenn ich also kunsthistorisch was total falsch benenne – seid nachsichtig, Korrekturen/Erklärungen/Erläuterung sind wie immer höchst willkommen.

3 Antworten zu „Kunst ist Kunst ist Kunst?”.

  1. Avatar von Lillith Cavalli
    Lillith Cavalli

    Bravo!!!! 🙂 Super Artikel.

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    1. Ooh, das ist lieb. Und so schön, wenn das, was man selber denkt und fühlt, anderen auch etwas bedeutet! DANKE, viele Male!

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      1. Avatar von Lillith Cavalli
        Lillith Cavalli

        Ja gell 😄 aber vor allem ist es lässig geschrieben.

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