Ok. Ich wundere mich immer über Patriotismus. Für mich ist das eines der giftigsten und schlimmsten Dinge, das zusammen mit Religion (nicht Glauben, ich meine Religion) für die schlimmsten Verbrechen und Morde verantwortlich ist. Klar waren das Menschen, die das gemacht haben, nicht der Patriotismus, aber sie haben es getan im Namen von diesen Ideen, diesen Gefühlen. Sie haben es getan, weil jemand diese Gefühle und Schlagworte benutzt hat, um Sehnsüchte und Ängste in Aggression und Wut umzuformen oder um bereits vorhandene Wut zu kanalisieren. Ich kann viele Dinge gut verstehen und nachvollziehen, aber Patriotismus ist was, was ich überhaupt nicht fühlen oder verstehen kann.
Mit Völkerwanderung, politischem Hin und Her, mit Krieg und Flucht, kommen die meisten Menschen doch eh nicht konkret aus einer bestimmten Gegend oder Nation. Maximal ein oder zwei Generationen lang – was hat das mit Patriotismus zu tun? Nimm mal Italien – das Land gibt es grad mal 100 Jahre. Davor waren das lauter kleine Stadtstaaten. Genau so mit Deutschland. Ich hab neulich 5 Deutsche befragt, woher ihre Familie kommen (nachdem sie sich über jemand uncharmant geäußert hatten, der nicht gut Deutsch gesprochen hat) und dabei hat sich herausgestellt, dass keiner dieser 5 Deutschen tatsächlich von beiden Familienseiten länger als eine, zwei Generationen lang deutsch war oder in Deutschland gelebt hat. Und trotzdem fühlen sie sich berechtigt auf andere herabzusehen. Abstrus. Albern. Ok, natürlich ist mir klar, dass für viele Menschen Patriotismus nur ein Alibi ist. Wer im Namen eines Landes Gewalt ausübt, dem geht es um sich selbst und um Gewalt. Nicht um das Land, um Liebe oder um andere. Aber ein paar Menschen müssen doch wirklich real Liebe für ein Land empfinden? Und wie kommt das? Ich hab lang darüber nachgedacht und hab folgendes über mich selbst rausgefunden:
Zuallererst bin ich ich selbst. Dann kommt lang nix. Und dann folgt der Rest in dieser Reihenfolge: Dann bin ich ein Mensch. Dann bin ich eine Frau. Dann bin ich schwäbisch. Dann bin ich ein Teil der Europäischen Union. Und dann bin ich Deutsche.
Ich kann das mit der Liebe für ein Land bissle nachvollziehen, wenn es um mein schwäbisch sein geht. Ich liebe es und bin nachsichtig ihm gegenüber. Aber nie käme ich auf die Idee, dass alleine die Tatsache, dass ich in einer bestimmten Gegend aufgewachsen bin, bedeutet, dass ich besser oder schlechter bin als andere, die woanders aufgewachsen sind. Das ist doch total absurd. Das würde ja bedeuten, dass meine eigenen Fähigkeiten oder Errungenschaften weniger zählen als der Ort, wo ich wohne.
Oh. Oh! OH!!!
So. Und da haben wir den Knackpunkt. Und das einzige Heilmittel gegen Gewalt im Namen von irgendwas. Wenn Du kein Gefühl von Dir selbst hast, keine eigene Stärke, kein Vertrauen in Dich selbst, dann suchst Du Dir Ersatz. Aber es ist eben nur Ersatz und Du weißt das auch sehr genau. Und daher muss man jeden niederschreien, der das sehen oder bloßstellen könnte. Es sind des Kaiser’s nicht vorhandene Kleider. Und deshalb bringt auch argumentieren nichts. Weil es nicht um Argumente geht. Es geht um Emotionen. Und erst, wenn das Loch in der Seele gestopft ist, erst, wenn sie glauben, dass sie zählen und jemand sind, dann erst können sie zuhören.
Woher ich das weiß? Ich kenne diesen verkniffenen Haß. Nicht um irgendwelcher Dinge oder Ideologien wegen. Aber wenn es um mich geht. Dieses Gefühl, wenn man am ertrinken ist und um sich schlägt. Wenn es nur darum geht das andere zu vernichten, es wie Ungeziefer zu zertreten. Wenn einem das ein wildes Gefühl von reueloser, gerechtfertigter Genugtuung gibt. Und gegen dieses Gefühl gibt es kein vernünftiges Argumentieren. Wirklich nicht.
Was mich davor bewahrt, dass dieses Gefühl überhand nimmt? Dass ich ich bin. Und teilweise auch, weil ich weiß, dass es falsch ist und ich mich deswegen schäme. Wenn ich nicht ich wäre, könnte ich mich dem Gefühl nur sehr schwer entgegenstemmen.
Woher dieses Gefühl kommt? Es ist ein altes Gefühl. Es kommt davon ausgeschlossen zu sein. Im Kindergarten ausgelacht zu werden. Allein zu sein, nirgends dazu zu gehören. Niemand zu haben, den das interessiert oder der mir gesagt hätte, dass das nicht heißt, dass ich lächerlich und schlechter bin als andere.
Dass das alles schon Jahre her ist? Spielt keine Rolle. Der Zweifel, der Schmerz ist so real wie immer. Warum? Weil das ICH bin! Nicht irgendein Kind. Nicht ein Erwachsener, der mal ein Kind war. MIR ist das passiert. Und mich hat das verletzt.
Das ist nichts besonders schlimmes, ausgelacht und ausgeschlossen zu sein? Nun, für mich war es das. Und letztendlich ist das das einzige, was zählt. Ich hab andere Dinge erlebt, die von außen viel traumatischer klingen, die mich aber kaum berührt haben. Weil sie für mich selbst weniger traumatisch waren, mein selbst kaum betroffen haben.
Das ist übrigens Verständnis und Toleranz: Zu akzeptieren, dass andere etwas empfinden, was wir nicht empfinden und es nicht anzuzweifeln oder den Schmerz zu relativieren. Und daher versteh ich zum Beispiel auch, warum ich mich nicht aufrege, sondern immer das überwältigende Verlangen hab großmäulige, rücksichtslose, nervende und/oder randalierende Teenager in die Arme zu nehmen und ihnen zu sagen, dass ich sie lieb hab. Weil es das ist, wonach sie schreien. Und auch das, was sie retten kann. Was uns alle retten kann.
Und deshalb ist Integration wichtig.
Und deshalb sind Fördermittel wichtig.
Und deshalb ist Gerechtigkeit wichtig.
Und deshalb ist Menschlichkeit wichtig.
Denn da wir nicht allein in einem Vakuum leben, hat das, was Person A an materiellem Reichtum anhäuft oder wenn Person B sich nur um sich selber kümmert und Verachtung für andere empfindet oder wenn Person C sich immer über alle lustig macht, die anders sind, reale Konsequenzen für jeden einzelnen Menschen auf diesem Planeten. Im schlimmsten Fall führt das dazu, dass eine Gesellschaft, eine Gemeinschaft nach und nach zerbricht, zerfasert und dann, dass Menschen körperlich und seelisch zu Schaden kommen.
P.S. Ich will hier nicht Tenager schlecht machen, ich selber war ein wahnsinnig großmäuliger, lauter Teenager, wobei das randalieren sich bei mir in Grenzen gehalten hat. Dafür bin ich leider und zum Glück viel zu schwäbisch.
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