Ok. Im Englischen gibt es eine Redewendung namens „in a nutshell“. Es gibt eigentlich keine wirkliche Übersetzung dafür, es bedeutet sowas wie das wirklich wichtige über etwas auf einem ganz kleinen Raum zusammengefasst. „Die Essenz von etwas“ kommt nah dran, aber trifft es doch nicht wirklich. Warum ich das erzähle hat folgenden Grund: Vor einiger Zeit hatte ich ein kleines Erlebnis, das in seiner Einfachheit so viel über uns Menschen ausgesagt hat. Und wenn ich über eben dieses Erlebnis nachdenke, denke ich immer „There you have it: humanity in a nutshell.“
Ich erzähl mal, was passiert ist. Ich bin wo entlang gelaufen (sowas passiert ja jedem ab und zu mal) und da saß ein Mann am Rand des Gehsteigs, gegen ein Haus gelehnt. Vor und um sich herum hatte er seine Sachen ausgepackt und aufgestellt: Eine Tasse für Geld, falls ihm jemand was geben wollte, seinen Rucksack, ein Schild und auch mehrere Kleinigkeiten, die aussahen wie Krimskrams: Spielfiguren aus Überraschungseiern, kleine Vasen und so. Die waren nicht da aufgestellt zum Verkaufen, es sah eher so aus, als gehörten diese Dinge für ihn wohl irgendwie zur Ausgestaltung der Räumlichkeiten, wenn er sich irgendwo niederließ. Vielleicht bringen sie ihm Glück oder sie erinnern ihn an jemanden. Der Mann war eingeschlafen und saß nun schlafend an seine Wand gelehnt da.
Zwei Männer in Anzügen eilten diskutierend heran im zügigen Schritt des Erfolges und einer von beiden kickt unabsichtlich mit seinem Fuß eine der Figuren des sitzenden Mannes weg. Dann trug sich ein kleines, stummes Schauspiel zu: Der eine Mann (ich weiß nicht mehr sicher, ob er der Kicker war, meine aber, dass er es war), machte den Anfang einer Bewegung, um die Figur wieder aufzuheben. Der andere Mann ging zügig weiter, sprach auch einfach weiter und machte durch seine Körpersprache und Blicke klar, dass man sowas nicht macht. Man gibt sich nicht mit so jemanden ab, nicht mal dann, wenn man selber der Verursacher eines Übels ist. Und durch dieses Verhalten stoppte er den anderen Mann so sicher in seiner bereits begonnenen Bewegung als hätte er ihn an einer unsichtbaren Leine weitergezerrt. Der, der begonnen hatte die Figur aufzuheben, hielt inne, richtete sich wieder auf und so liefen beide Männer zügig weiter ihrem Mitagessen ehtgegen. Und der, der wohl bisher nicht wusste, dass man „solche“ ignorieren muss, weiß es von nun an besser.
Ich lief hinter den Anzugtypen, hatte das also alles beobachtet und natürlich hab ich die Figur aufgehoben und sie dem sitzenden Mann wieder hingestellt. Das gehört sich einfach so. Punkt.
Und beim nachdenken darüber hab ich dann eben gedacht: There you have it, humanity in a nutshell. In dieser kleinen Begebenheit hast Du die drei Menschentypen gehabt, aus denen wir alle bestehen (wir teilen uns dann darunter noch nuancierter auf, aber an der ganz obersten Ebene, gehören wir alle zu einer dieser Gruppen): Da sind einerseits die kalten Arschlöcher und Egoisten, die erstmal den Nutzen berechnen, bevor sie Dir die Hand geben. Dann sind da die Mitläufer, die immer das sind, was die Menschen um sie herum oder ihre Bezugspersonen sind. Und am anderen Ende des Spektrums hast Du die, die sich nicht um Funktionalismus, sondern um Menschen kümmern, die, die immer den Mund aufmachen und Sachen verbessern müssen.
Keine dieser Gruppen ist besser als die andere, keine ist nur gut oder schlecht, jede hat ihr Berechtigung. Je nach unserer eigenen Veranlagung tendieren wir dazu die eine Gruppe richtig und die andere Gruppe unmöglich zu finden, das ist aber eine rein subjektive Sicht. Das sollten wir immer bedenken. Ich bin froh, dass ich nicht zur Egoisten und Arschloch-Gruppe gehöre, aber andererseits können die problemlos 29 Leute feuern und damit 300 andere Jobs retten, ohne deshalb auch nur ansatzweise Gewissensbisse zu haben, was ich nicht könnte. Ich bin ebenso froh, nicht zur charakterlosen Mitläufergruppe zu gehören, aber andererseits sind die der Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält, das Schmiermittel, das macht, dass die Räder sich drehen, während ich mir noch Gedanken darüber mache, ob es überhaupt richtig ist, dass die Räder sich drehen und währenddessen schon lang eine Hungersnot
verursacht hab, weil ich nicht dafür gesorgt hab, dass die Räder sich in der Realität tatsächlich drehen.Zwei Dinge finde ich so bemerkenswert und faszinierend an diesem kleinen Erlebnis: Einmal der nonverbale Moment, der sich zwischen den zwei Männer abgespielt hat. Die Missbilligung des einen, die prompte Reaktion des anderen und die Rangordnung zwischen den beiden, die sich durch diese Situation für immer etabliert hat. Und dass es ein Mini-Theaterstück über die Menschheit ist, wie die alten Fabeln oder Bibelgeschichten. Wenn man jemand Weltfremdem erklären sollte, wie die Menschheit denn so ist, wäre das mit diesem Erlebnis elegant zu schaffen: This is us in a nutshell.