Das Schiff – ein Weltraumabenteuer in Fortsetzungen, Teil 2

Das ist der 2. Teil von „Das Schiff – ein Weltraumabenteuer in Fortsetzungen“. Den 1. Teil findet Ihr hier


Das Schiff war so groß
wie eine große Kleinstadt. Als wir es fanden, warf es alle unsere Ideen, die physikalischen Gesetze und Vorstellungen mit einem lauten Ploink über den Haufen. Nichts war mehr so, wie es vorher war. Auch nicht unser Selbstverständnis. Wir hatten uns für die Spitze der Evolution gehalten und plumpsten mit einem Schlag die Leiter runter zu Steinzeitmenschen. Oder zumindest für ein paar hundert Leute war das so. Für ein paar hundert Leute hatte sich die Welt, das Universum verändert. Der Rest war noch genauso ahnungslos und größenwahnsinnig wie vorher.

Unser Projekt war das zweite, das die Welt gemeinsam in Angriff genommen hatte. Alle 29 Staaten waren daran beteiligt. Und alle 29 Staaten hatten beschlossen das Schiff vor der Bevölkerung geheim zu halten, als seine Dimension kommuniziert wurde. Sie hatten es sofort beschlossen, ohne auch nur einmal nachdenken zu müssen. Ich war mit mir uneins. Manchmal dachte ich, sie haben recht. Das Wissen, dass wir so falsch lagen, letztendlich in all den Jahrtausenden so wenig Wissen und Erkenntnis gefunden haben, dass wir so hoffnungslos unterlegen waren, falls jemand im Universum sich an uns erinnern sollte, würde Massenpanik, Krieg und Revolten auslösen. Die Welt würde im Chaos versinken.

Erneut im Chaos versinken. Und es war erst 49 Jahre her, dass der allerletzte Friedensvertrag geschlossen worden war. Die meisten von uns hatten den „Wahren Krieg“, der 150 Jahre über unseren Planeten tobte und die Menschheit an den Rand der Ausrottung brachte, der 2 Kontinente im Nichts verschwinden ließ, nicht mehr erlebt. Aber der Krieg war immer noch um uns, in uns. Eine permanente Erinnerung auf dem Drahtseil zu balancieren. Der nächste Konflikt würde uns alle auslöschen. Und so war die Angst zu groß, das Vertrauen in die Vernunft zu gering, um mit offenen Karten zu spielen. Manchmal dachte ich aber auch: Wir sind doch besser und mehr als das! Erst recht durch unsere Erfahrungen. Wir kreischen doch nicht hysterisch und bringen uns gegenseitig um, nur weil wir nicht mehr das erste Glied in der Nahrungskette sind. Und hinten, ganz hinten in meinem Kopf die Angst: Was, wenn doch? Was, wenn wir doch so sind? Wahrscheinlich haben die recht, die das Schiff geheimhalten. Besser uns nicht auf die Probe zu stellen. Es könnte sein, dass wir eine Wahrheit sehen, die wir in Wahrheit nicht sehen wollen.

Was mich seit dem Angriff am meisten gruselte,
war die Vorstellung, dass obwohl das Schiff so bombastisch war, über Technik und Magie verfügte, die uns unvorstellbar erschien, seine Erbauer nicht die mächtigsten oder stärksten Wesen im Universum waren.

Als wir das Schiff und die Stationen verlassen vorgefunden haben, sind wir davon ausgegangen, die Reisenden seien ausgestorben. Und unsere Funde wären Relikte, einer vergangenen, vergessenen Zivilisation. In unserer Vorstellung wurden sie ein benevolentes, gutherziges Volk, das vielleicht sogar durch seine Friedfertigkeit ausgerottet worden war. Es kam uns nicht in den Sinn, dass ein Volk fehlbar oder gar gefährlich sein könnte, dass solches Wissen, solche Möglichkeiten hatte. Wir hatten wohl alle zuviele Kinofilme gesehen. Doch seit dem Angriff vor zwei Tagen, sieht das alles anders aus. Seither wissen wir: Die Reisenden sind irgendwo da draußen und sie sind im Streit, im Krieg, mit anderen Völkern. Vielleicht sind sie sogar der Aggressor? Ein Tyrann des Universums? Unsere gesamte Forschungsgruppe hatte oft sehnsüchtig geseufzt:“Ach, stellt Euch vor, wie aufregend das wäre, wenn wir einen echten, lebendigen Reisenden treffen würden! Was wir lernen könnten! Es gibt so viele offene Fragen!“ Uns ist nie in den Sinn gekommen, dass wir vielleicht heilfroh sein können, dass wir bisher keinen Reisenden getroffen haben. Das Wissen, dass die Schiffserbauer noch existierten, wirft natürlich auch praktische Fragen auf: Zum Beispiel: Wenn sie noch leben, warum haben sie dann diese riesige, fliegende Stadt einfach zurückgelassen? War das, was für uns ein Wunder des Universums war, für sie Müll, der entsorgt werden musste? So wie vor dem Krieg manche Menschen ihr Schrottauto einfach haben irgendwo stehen lassen, anstatt es zu entsorgen oder zu reparieren?

„Lis, komm schon,
wir müssen weiter. Wir müssen noch 3 weitere Korridore kartographieren, bevor wir an die nächste Gruppe übergeben und uns auf’s Ohr hauen können.“ Olivier, einer meiner Partner für heute steht vor mir und streckt mir die Hand entgegen, um mich hochzuziehen. „Jawohl, Chef. Sofort, Chef!“ Ich lächele und wir beginnen unser Pausenzeugs wieder in unsere Rucksäcke zu packen. Die Schlinge um meinen Arm stört ein wenig und die Wunde selbst schmerzt bei Bewegung aber es ist erträglich. Auch, weil ich es ertragen muss. Wir sind nur 29 Menschen und stehen einer Kleinstadt gegenüber. In den letzten Monaten hatten wir ungefähr ein Drittel des Schiffes erkundet. Erst ein Drittel. Und das auch nur, weil wir als erstes auf die riesigen Felder, Wiesen, Wälder und Seen der Biodsphären getroffen sind. Somit war schnell „ein Drittel“ erkundet. Aber als wir dann mit den unzähligen Räumen, Korrdoren und Ebenen anfingen, ging es nur noch millimeterweise voran.

Seit dem Angriff hat sich alles verändert. Es gab „vor dem Angriff“ und es gibt „nach dem Angriff“. Und beide Punkte haben nichts gemeinsam. Selbst Worte haben eine andere Bedeutung. Vor dem Angriff hieß „erkunden“: Wissenschaftlich genau kartographieren, photographieren, Videoaufnahmen machen, Beschriften, katalogisieren und das alles gründlich, langsam und geplant. Der Sinn von erkunden war zu erkennen. Nach dem Angriff heißt „erkunden“: So schnell wie möglich festzustellen, wo sich was befindet, einen groben Grundriss anzufertigen und die Dinge danach zu katalogisieren, wie nützlich oder gefährlich sie uns sein konnten. Der Sinn von erkunden ist nun kenntlich machen. Uns zu nutze zu machen.

Unser Hauptziel
ist natürlich die Brücke zu finden und den Maschinenraum. In der Hoffnung, dass wir irgendwie in der Lage sind das Schiff zum Laufen zu bringen. Und nach Hause zu fliegen. Heim zur Erde. Oder auch nur zu irgendeinem Planeten. Dank der Biosphären können wir hier bis zu ihrem Lebensende problemlos leben. Es gibt alles, was wir zum Überleben brauchen. Aber in der Teambesprechung nach dem Angriff, hatten wir einstimmig beschlossen, dass wir nicht für immer auf dem Schiff leben wollen. Merkwürdig, dieses Verlangen Erde unter den Füßen zu haben.

„Glaubst Du, was Kato gesagt hat? Dass es gut sein kann, dass irgendwo auf dem Schiff jemand lebt und nix von uns weiß? Oder von uns weiß und sich fernhält?“ fragt Olivier mich. Ich runzel die Stirn, während ich versuche auf dem kleinen Leuchtschild den Namen und die Funktion des Raumes vor mir im Dämmerlicht zu entziffern und antworte leicht abwesend:“Du, schon möglich. Es könnte hier alles mögliche geben, einen Dschungel, ein Teleportal oder eine Wellness-Oase.“ Das ruft natürlich Olga auf den Plan: „Oh, das wäre so cool. Dann würde ich mich so richtig verwöhnen lassen. Aber richtig! Würde alle viere von mir strecken und das volle Programm buchen. Ich würde sogar diese kleinen, glitschigen Fische an mir rumknabbern lassen. Das volle Programm, sag ich Euch. Jede, aber absolut jede Anwendung, die ich kriegen könnte und wäre sie noch so abstrus. Ach ja, Wellness“ seufzt sie sehnsüchtig. Wir drei schauen uns an und lachen. Olivier streicht eine Locke aus Olga’s Gesicht und klemmt sie wieder unter das Kopftuch, aus dem sie sich gelöst hat. Olga stellt sich auf die Zehenspitzen und legt kurz ihre Wange an seine.

Die zwei sind schon lange ein Paar und haben die wundersame Gabe liebevoll zueinander zu sein, ohne dass Mitanwesende sich ausgeschlossen oder peinlich berührt fühlen. Ich hab schon oft versucht zu ergründen, was ihr Geheimnis ist. Wir lachen immer noch leise vor uns hin und zählen Wellnessbehandlungen auf, die wir „über uns ergehen lassen würden“, während die Tür des nächsten Raumes mit dem inzwischen gewohnten Zischgeräusch aufgeht. 

Doch dann hört unser Lachen abrupt auf. Normalweise folgen beim Betreten eines leeren Raums auf das Zisch zwei weitere Geräusche: Ein Klackklick, das die Beleuchtung von sich gibt und ein Schhhhhaah, das die Frischluftzufuhr anzeigt. So gewohnt ist der Dreiklang dieser Töne, dass nun, wo eines davon ausbleibt, sofort eine ohrenbetäubende Stille herrscht. Kein Klackklick. Kein Licht. Keiner von uns sagt was. Keiner bewegt sich. Als hätte das fehlende Geräusch uns zu Stein erstarren lassen.


Das war er. Der 2. Teil von „Das Schiff – ein Weltraumabenteuer in Fortsetzungen“. Der nächste Teil kommt bald….

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