Wir schauen uns an
Ohne Worte. Wahrscheinlich, weil es soviel zu sagen, fragen, schreien gäbe, dass es uns die Sprache verschlägt. Sprachloser overkill. Noch vor ein paar Minuten hat der ohrenbetäubende Krach, das schrille Kreischen von Metall auf Metall, explodierende Leitungen und das kranke, falsche Geräusch, das Wände machen, wenn sie brechen, meine Ohren gequält. Ich dachte, mein Trommelfell platzt, es kann das Toben und Brausen einfach nicht mehr aushalten. Wobei das Wissen, was diese Geräusche bedeuten, die Kakophonie um so vieles erhöht und unerträglicher gemacht hat.
Nun herrscht absolute Stille. Das einzige Geräusch ist ein leises, nervtötendes elektrisches Summen. Gerade als ich das denke, höre ich noch ein anderes Geräusch. Atmen. Ich höre uns atmen. Mit einem Schlag in den Magen wird mir klar, dass wir vielleicht die einzigen lebenden Wesen auf diesem Planeten sind. Nicht nur die einzigen Menschen, nein, die einzigen Lebewesen. Noch immer hat niemand gesprochen. Das, was zu sagen wäre, ist zu groß, zu unaussprechlich, um es auszusprechen. Aber irgendwann verlangt das Leben seinen Tribut und holt einen aus den philosophischen Sphären zurück auf den Boden. Ob wir das wollen oder nicht. Ich muss pinkeln. Dringend. Ich schaue mich um, in dem kleinen Menschenhäuflein, wen ich ansprechen kann, wem ich mich deshalb mitteilen kann. Oder nicht nur deshalb, sondern prinzipiell.
Wir sind 29
29 Menschen. 29 Erwachsene. Keine Kinder. 14 Männer, 15 Frauen. 29 Wissenschaftler. Also vielleicht doch Kinder anwesend. Ich muss über meinen eigenen müden Scherz lächeln. Bemerke es und wische unbewusst mit meiner Hand über mein Gesicht, wie um das Lächeln wegzuwischen. Sehe dann, wie einige mich anschauen. Und das erste Mal wird mir die volle Tragweite des Ganzen bewußt: Wir sind hier zusammen. Aufeinander angewiesen. Kalt kriecht es mir den Rücken hoch. Scheiße, wir sind noch nicht mal in der Lage uns darüber zu einigen, wer wie für den gemeinsamen Kaffee verantwortlich ist, geschweige denn, wer derjenige ist, der sich darum kümmern muss, welchen zu ernten. Wie sollen wir in der Lage sein zusammen zu arbeiten, uns zu verständigen, wenn es um unser Leben geht? Und ich glaube jedem von uns ist bewußt, dass es um unser Leben geht. Das ist einer der wenigen Vorteile zusammen mit einer Gruppe von wissenschaftlich Denkenden in einem Raumschiff eingesperrt zu sein. Sie begreifen Zusammenhänge schnell. Oder halt, ist das ein Nachteil?
Links von mir ist nun das erste Mal seit dem Sprung eine menschliche Stimme zu hören. Ich drehe mich um, um zu sehen, wer da spricht und bemerke dabei, dass ich Blut an der rechten Hand habe. Meines kann es nicht sein. Ich spüre keinen Schmerz. Ich schau mich um, ob jemand verletzt ist und sehe, dass wir einige Verletzte haben. Zum Glück aber wohl nichts lebensbedrohliches. Wo hab ich mir aber das Blut… Oh Shit, jetzt sehe ich, dass ich am rechten Arm eine tiefe Schnittwunde habe. Ich kann tief in meinen Arm hinein sehen. Sehe die Haut, ihre verschiedenen Schichten, das rote Fleisch und darunter, perlmuttfarben schimmernd, den Knochen. Höre einen Rumms. Watte. Versuche zu sprechen, bin sicher, dass ich spreche. Gleichzeitig höre ich eine Stimme unerkennbare Geräusche von sich geben. Sowas wie Tierlaute. Das ist meine Stimme? Spüre Druck auf einer Stirn. Ist es meine? Kämpfe gegen eine bleierne Decke, die auf mir liegt und versuche mit der Hand meine Stirn zu erreichen. Dann spüre ich Kälte in meine linke Hand tropfen. Falsche, trügerische Kälte. Ich weiss, sie ist gefährlich und falsch, ich muss gegen sie ankämpfen. Will nicht aufgeben. Ertrinken.
Liege nun schon minutenlang da
Glaube ich bin wach, schaffe es aber nicht Augen zu öffnen, Lippen zu bewegen. Langsam, mühselig formen sich Gedanken in Zeitlupe und tropfen aus meinem Kopf. Fühle ein erstes Gefühl. Angst. Spüre, wie die Angst mein Herz schlagen lässt, tauche etwas höher und öffne die Augen. Sehe nur kleinen Teil der Welt, weil sie nicht richtig aufgehen wollen. Versuche Kopf zu drehen, geht nicht. Merke plötzlich, dass ich links und rechts am Hals einen Druck spüre. Das selbe an der Stirn. Und dann, mit flutender Erleichterung, spüre ich den selben Druck an Armen und Beinen. Also bin ich zumindest in der Lage meinen Körper zu spüren. Versuche zu sprechen, krächze aber nur sich überschlagend. Höre ein Rascheln, Schlurfen und dann taucht ein Gesicht vor meinen Augen auf. Ich kenne das Gesicht, habe auch mal gewusst, wie es heisst, weiss es aber jetzt nicht. Ich runzele die Stirn, was weh tut, und denke angestrengt nach. Arzt. Das Gesicht gehört zu einer Ärztin. Weinkönigin. Sie heißt Moser. Ja, Regina Moser. Erleichtert. Obwohl einiges falsch zu sein scheint, bin ich wohl noch auf dem Schiff, mit meiner Projektgruppe.
Versuche zu überlegen, wie es kommt, dass wir alle zusammen auf dem Schiff waren? Das gab es noch nie, noch nicht mal am Einführungstag. Es gibt ein genaues Protokoll, einen peniblen Stundenplan, wer wann wie was mit dem Schiff machen darf. Aber alles ist schwarz. Ich erinnere mich an das Frühstück, das ich wie immer mit Kopfhörern zu mir genommen hab, weil ich so früh am Morgen das Gelaber nicht ertragen kann. Erinnere mich daran losgegangen zu sein. Dann – nix. Das nächste in meinem Erinnerungskino ist das nervtötende, elektrische Summen auf dem Schiff zu hören und zu entdecken, dass ich ziemlich übel verletzt bin. Ah! Ich komme mir vor wie Heureka! Das muss der Grund sein, dass ich hier liege. Ich entspanne mich etwas, denn das ist logisch und Logik beruhigt mich. Immer. Was unlogisch ist, ist dass ich zwischen dem Moment, wo ich aus der Wohnheimtür gegangen bin und dem elektrischen Summen eine Lücke hab. Wie in einen stockdunklen Raum zu starren, in dem man Bewegungen erahnen, aber nicht wirklich sehen kann.
Ich höre das charakeristische „Zisch“ der Raumschifftüren. Schritte. Mehrere Menschen. Dann ein leises Klinkern rechts neben meinem Ohr, die Berührung von kaltem Metall, das Geräusch, wenn ein Ledergürtel durch Schlaufen gezogen wird und dann ist der Druck von meiner Stirn weg. Sie tut aber immer noch etwas weh. „Wir mussten sie arretieren (als wäre ich ein Riegel). Sie haben sich wie eine Löwin gewehrt und wir konnten Ihnen nicht anders helfen. Aber es scheint, als wären sie jetzt wieder bei Bewusstsein, meine Liebe“ Klar, der einzige, der „meine Liebe“ sagen kann, ohne dabei los zu prusten. Bauer. Professor Dr. Johannes Bauer. Unser Gesamtprojektleiter und Übervater.
Ich versuche
zu sagen, dass ich mich nicht an Kämpfen erinnern kann, aber hab Schwierigkeiten die Worte oder mein Gehirn zu koordinieren. „Wir binden Sie nun los, machen es Ihnen etwas bequemer, Kollegin Moser gibt Ihnen was zu trinken und eine Tablette, damit Sie noch 2,3 Stündlein schlafen können und danach unterhalten wir uns weiter.“ Etwas unbeholfen versucht er mich an der Schulter zu tätscheln, da scheint aber was im Weg zu sein, so dass er seine Hand unverrichteter Dinge zurück zieht. Stattdessen sagt er „Das wird schon wieder.“ Das Wort-Äquivalent zu Schulterklopfen. Nu gut, muss man ihm nachsehen, der Professor hat sicher seit 30 Jahren keine lebendigen Patienten mehr gehabt. Ich fühle ein Lachen und eine Albernheit in mir hochbrodeln, die mich kurz erschrickt. „Was, wenn ich nicht mehr aufhören kann albern zu sein?“ flitzt durch meinen Kopf. Komischer, deplatzierter, instinktiver Gedanke.
Erneut raschelt es neben meinem Kopf. Diesmal links und rechts. Wie Papier. Etwas später das gleiche Gürtelgeräusch wie an der Stirn. Drei mal, nein, vier mal. Ich fühle mich plötzlich schwerelos, losgelöst. Kollegin Moser (wieder das alberne Glucksen in mir, Gott mach, dass ich nicht laut spreche und lache) kommt mit einer Flüssigkeit. Ich dachte, ich krieg eine Tablette und bin verwirrt. Versteh das nicht. Versuche das Glas wegzustoßen und bemerke dabei, dass meine Hand frei ist (wieder das Glucksen: Bereuen sie jetzt sicherlich!). Ich versuche zu sagen, dass ich nicht verstehe. „Trink das Wasser, Lis. Wir haben Schmerz- und Schlafmittel darin aufgelöst, weil Du es nicht schaffst das Mittel zu schlucken und weil wir Spritzen und ähnliches hier oben rationieren müssen“. Mit einem Kollaps beruhige ich mich. Peter, der weiß, dass ich immer VERSTEHEN muss. Der liebe Peter. Ich lasse mir das Getränk einflösen und treibe… im weißen Wattemeer….gleißende Dunkelheit