Auf der Bühne

Ich stell mir einen Schauspieler vor, der auf einer schlecht beleuchteten Holzbühne steht, die bei jeder Bewegung knarzt und quietscht, geblendet von einem schlecht ausgerichteten Scheinwerfer. Während im Zuschauerbereich, der aus ungleich aufgereihten Plastik-Klappstühlen besteht, 3 verlorene Seelen Platz genommen haben. Einer hat das Handy draußen und spielt, während dem zweiten immer wieder die Augen zu fallen und der dritte erwartungsvoll in das grelle Licht auf der Bühne starrt, das ihn den Schauspieler nur als vagen Umriss wahrnehmen lässt. Dann huschen noch ein paar Schemen rein, die der Schauspieler nicht richtig sehen kann. Sie setzen sich ganz hinten hin und er hört Lachen und Kichern. Sein Magen verknotet sich.

Der Schauspieler räuspert sich (schon aus der Rolle gefallen) und beginnt seinen Monolog aus einer altgriechischen Sage. Seine Stimme ist flach, er kriegt nicht genug Luft. Ist nur ein mittelalter Mensch, dem langsam aber sicher Schweißtropfen auf der Stirn entstehen, während er versucht ein anderer zu sein und diese stummen Worte mit Leben zu füllen. Dann, mitten in einem Vers, passiert es. Aus Versehen. Plötzlich sind es nicht mehr nur leere, hohle Worte, die er auswendig gelernt hat und heruntersagt, während er versucht daran zu denken mit den Händen aussagekräftige Gesten zu machen und gleichzeitig die Schweißflecken unter den Armen zu verbergen. Für einen Moment, weiß er, was er da spricht. Er riecht den Olivenhain, spürt den sanften Wind, der die Wellen spielerisch gegen das Kai wirft, wie ein Kind, das Murmeln gedankenlos immer und immer wieder gegen eine Wand kullern lässt, einfach nur, weil die Murmeln, die Wand und das Kind da sind. Plötzlich ist er unabsichtlich aus der Rolle gefallen, hat sich hingegeben, verführen lassen vom Rhythmus der Verse. Und ist in der Rolle gelandet. Und für einen Moment, einen Augen Blick, kann er die sichere Leichtigkeit und die stärkende Güte der Worte spüren.

Und dann ist es ihm, als stünde er am Rande des 10-Meter-Turms und müsse sich entscheiden, ob er springt oder den Rückzug antritt. Es schwindelt ihn. Er hat es in der Hand.

Er hat diese unglaubliche Macht sich zu entscheiden: Er kann diesen Worten Leben einhauchen. So als würden sie etwas bedeuten. Als würde irgendwas etwas bedeuten.  Er kann entscheiden, dass es keine Rolle spielt, ob er für Könige und Königinnen in prunkvollen Theatern vor edlen Kulissen spielt oder vor 3 Hanseln, ein paar Schemen und einer Maus im 5. Stock eines müden Bürogebäudes. Und damit Gefahr laufen sich bloß zu stellen vor denen, die die Schwächen anderer suchen, um sie auszulachen. Er kann für sie dieser armseliger Narr sein, der diese Worte auf dieser verstaubten Bühne spricht, als würden sie etwas bedeuten.

Oder er kann die Worte opfern. Sie lächerlich machen, damit niemand ihn lächerlich findet. Er kann sie sprechen wie einer, der gelangweilt ist. Er kann sie als aufgeblasene, hohle Hülsen bloß stellen und nichtssagend preisgeben. Bauern im Spiel der Grausamkeit.

Und er schwankt, wie eine schwere Eiche im Sturm. Von außen scheint es nur um ein unwichtiges Theaterstück zu gehen, von dem in 1 Stunde schon niemand mehr weiß, dass es je stattgefunden hat. In Wahrheit geht es um alles. 

Er entscheidet sich.

Und springt ins Ungewisse. Darauf vertrauend, dass es ihn trägt. Und in dem Moment, in dem er nicht mehr jemand ist, der jemanden spielt, während ihn drei Hanseln, ein paar Schemen und eine Maus beobachten, wird seine Stimme eine andere. Er wird größer. Er hat die Angst vor den Schweißflecken vergessen, nein, er hat die Schweißflecken überhaupt ganz vergessen. Er geht mit großem, raumgreifendem Schritt die kleine Bühne auf und ab. Er pausiert nach einer Frage, schaut fragend in den Raum, als würden dort die alten Griechen in fließenden, strahlend weißen Gewändern und sonnengegerbten Gesichtern sitzen und ihm gebannt folgen, hier nicken oder dort aufgebracht raunen. Und mit einer klaren, anmutig starken Geste unterstreicht er dann die Antwort, die er gibt. Und jeder weiß, dass das, was er gerade gesagt hat, natürlich die einzige, die richtige , die unausweichliche Anwort war. 

Die Zuschauer bewegen sich nun mit ihm, folgen ihm. Lehnt er sich nach vorne, kommen sie ihm entgegen, als würde er ihnen ein Geheimnis zuraunen. Löst er die Situation dann elegant auf, scheint es, als wöllten sie sich mit der Hand an die Stirn langen „Ach ja, Mensch, logisch!!!“ Ein Hausmeister, der den Boden im Flur gewischt hat, hat seinen Eimer in die Ecke gestellt, sich in den Raum geschlichen und lauscht nun auch der Rede. Längst hat der 3. Zuschauer aufgehört zu spielen. Mit seinem Handy filmt er stattdessen den Schauspieler, dessen Leben sich gerade für immer unveränderbar verändert hat, um es später ins Internet zu stellen.

Nur der müde Mann hat nix mitgekriegt, von dem kleinen Wunder, das da gerade passiert ist. Der schläft inzwischen tief und fest.

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