Ok. Wenn es uns schlecht geht, wollen wir jammern. Jammern hilft. Jammern sollte per Rezept verschrieben werden. Es sollte professionelle Jammerzuhörer geben, bei denen wir so richtig ohne schlechtes Gewissen und ohne Relation auspacken können, wie schlimm wir dran sind, wie schwer wir es haben und wie ungerecht das beschissene Scheißleben ist. Nach einem Jammern mit eingeheimsten Mitgefühl fühlen wir uns gestärkt, befreit und getröstet.
Aber eines versteh ich nicht: Wenn wir jammern, haben wir sofort die innere Schere im Kopf und entschärfen unser Gejammer mit Plattitüden wie: „Aber andere haben es noch viel schlimmer, wir müssen ja noch froh sein“. „Müssen“ wir? Bullshit sag ich.
Die Schere funktioniert sogar, wenn wir nur vor uns selber jammern. Aber mal im Ernst: Dass woanders Menschen ganz schlimme Dinge erleben ist furchtbar, schrecklich. Aber bei aller Menschenliebe – darf ich mich deswegen nicht schlecht fühlen und Mitgefühl einheimsen wollen? Müssen wir so beschissen zivilisiert, vernünftig und kontrolliert sein?
Wenn Du Dich auf dem Boden kugelst vor Lachen oder grad richtig glücklich bist, rufst Du Dich doch auch nicht zur Ordnung und sagst: „Irgendwo ist sicher jemand noch glücklicher als ich, jetzt bleib aber mal auf dem Teppich!“ Das wäre albern, oder? Übrigens sind permanente Lacher und professionelle Glückliche genauso unerträglich, nur so nebenbei. Letztendlich geht es aber bei der Schere nicht um uns, sondern um andere. Wir wollen anderen mit unserem Gejammer nicht auf die Nerven gehen. Das hat sich so verselbstständigt, dass wir das sogar einhalten, wenn der andere wir selber sind. Bescheuert menschlich.
Das blöde ist nur: Wir brauchen jammern und je mehr wir es uns verkneifen, desto mehr schleicht es sich als Unterton immer wieder ein, bis wir unser Jammerbedürfnis gestillt haben oder zu ewig Gequälten werden, die ständig nach Mitgefühl fischen. Wie bei so vielen Scheren, die wir im Kopf haben machen wir es also in Wahrheit schlimmer und nicht besser. Anstatt einmal richtig zu jammern und eventuell eine Person damit zu nerven, nerven wir lieber 10 Personen mit kleinen Jammerpaketen UND fühlen uns auch noch schlecht dabei, weil wir unser Jammerbedürfnis nicht gestillt haben und andere mit unseren Problemen belasten.
Daher hab ich für mich hab beschlossen, dass ich da nicht mehr mitspiele und dass ich den inneren Cerberus ins Bett bringe. Wenn ich jammern muss – dann ist das eben so. Ich bring es hinter mich, fühl mich besser und verstanden und kann hoffentlich schneller wieder in jammerbedürfnisfreie Gewässer schippern.