Selbstillusion

Das Leben ist irgendwie ganz falsch herum aufgebaut, ganz verquer sortiert. Es ist doch totaler Quatsch, dass wir, wenn wir Teenager und Anfangzwanziger sind, wenn wir also am aktivsten und tatkräftigsten sind, meist nicht die inneren Fähigkeiten und Werkzeuge haben, um diese Energie voll und ganz zu nutzen und zu genießen. Nun bin ich beileibe nicht alt, weder inner – noch äußerlich, aber schon jetzt fühle ich die Ungerechtigkeit, das Bedauern, den Atem des Verlorenen, Vergangenen in meinem Nacken. Das, was vergangen ist, kann nie wieder zurückgeholt werden, nie wieder gelebt werden. Das kann nicht richtig sein, oder? Auf der anderen Seite: wenn es sowas wie ein Leben nach dem Tod geben würde, eine weitere, andere Existenz, sollte man meinen, dass uns schon einer Bescheid gesagt hätte. Warum sollte das so ein großes Geheimnis sein? Man könnte argumentieren, dass es so ein philosophisches Ding ist: Wenn wir denken unser Leben ist endlich, leben wir es bewußter oder machen es uns extra schön – aber das ist eindeutig in die Hose gegangen und man könnte so langsam die Katze aus dem Sack lassen.

Vielleicht wollen die im Nachleben aber auch einfach nicht, dass wir alle schnell rüberkommen, wenn wir erfahren, dass es da so klasse ist und halten deswegen dicht? Aber die sind ja nicht alle plötzlich egoistische Arschlöcher geworden, nur weil sie gestorben sind. Irgendeiner hätte bestimmt schon Mitleid mit uns gehabt und uns einen Tipp gegeben. Wer weiß, wenn wir wissen, dass es weitergeht, dass alles ein bißchen relativer ist, vielleicht entspannen wir uns alle sogar, vielleicht nehmen wir dann alles etwas gelassener und freundlicher und die Welt wird friedlicher? Und denkt mal an all die Kriminellen, irgendeiner hätte sicher schon versucht Profit aus dem Ganzen zu schlagen und versucht das tolle „Leben danach“ an Reiche zu verkaufen und die Verzweifelten in’s Jenseits zu schleusen. Oder geht das etwa alles schon vor sich, ohne dass ich das mitbekomme? 

Nee, wenn ich logisch drüber nachdenke, kann ich nicht glauben, dass es was nach dem Tod gibt. Und trotzdem – dass nix von mir bleibt, außer dem, was ich hinterlasse und gemacht hab, dass all meine Gedanken, Gefühle, Ängste und Träume  vergehen in dem Moment, in dem diese körperliche Hülle den Geist aufgibt? Irgendwas in mir drin kann sich das nicht vorstellen. Das wäre so sinnlos, eine solche Verschwendung und wo bleibt denn da die Nachhaltigkeit (wie wäre es mit Recycling?). Ein kleines, winziges Prozentpünktchen in mir denkt immer noch: Ok, wenn mein Körper tatsächlich meinen Geist aufgibt, dann geht der sicher irgendwohin. Und mit diesem kleinen tröstlichen Moment der Selbstillusion kann ich aufhören über später nachzudenken und mich wieder dem hier und jetzt widmen. 

  

2 Kommentare

  1. schlingsite sagt:

    Alles was man tut hat Folgen und mit diesen lebt man weiter.

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    1. Klar, da hast Du total recht. Und das ist zumindest irgendwas. Aber irgendwie ist das nicht genug? Zumindest denke, fühle ich das so im Moment. Ist ganz interessant, meine Einstellung zum Leben/Tod hat sich, ohne dass ich das richtig mitbekommen hab, mit der Zeit verändert: Früher hatte ich eine romantische Vorstellung davon, dass ich dem Tod lachend in’s Gesicht sehen würde, a la „besser mit einem Knall abgehen als vergehen“, während ich heute wie ein Dickensscher‘ Geizhals fühle: Ich will nix von meinem Leben hergeben, will nicht, dass es irgendwann zu Ende geht. Es scheint so zu sein, dass das Leben wertvoller wird, je weniger wir davon noch zur Verfügung haben. Das finde ich faszinierend.

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