Ich hab was interessantes an einer Litfaßsäule gesehen. Eine ganze Reihe von Plakaten zum Thema „Altern“ war dort angebracht und die meisten bestanden aus diesen Plattitüden, die ohne jegliche Tiefe, nur dazu gedacht sind uns kurzfristig ein Wohlfühlgefühl zu vermitteln. Sie sind das Wortäquivalent zu Schokolade – schmeckt lecker, ist aber totes Gewicht, dass uns die Sinne verkleistert.
Ok, es spricht nix dagegen sich ab und zu den Sinn zu verkleistern – solange man sich dessen bewußt ist und sich nicht nur ausschließlich davon ernährt. Wenn wir uns dessen nämlich nicht bewußt sind, ist es nur ein Mittel uns ruhig und befriedigt in der Herde zu halten. Wir existieren vor uns hin, aufgestellt in Reih und Glied, drehen und wenden uns in einem unruhigen Dämmerzustand, ohne noch zwischen echt und falsch unterscheiden zu können. Kauen auf Plastiktrinkschälchen mit Schokoladengeschmack herum und wundern uns, warum wir uns dauernd verschlucken und unser Hunger nie gestillt ist.
Aber wir sind keine Schafe.
Ein Zitat von Marc Chagall stach aus der Masse heraus und war das einzige, was sich für mich echt angefühlt hat und was mich zum Nachdenken gebracht hat.
Marc Chagall –
Die Leute, die nicht zu altern verstehen, sind die gleichen, die nicht verstanden haben, jung zu sein.
Ich fand die Verknüpfung von Alter und Jugend sehr interessant. Dass das eine das andere bedingt. Während die anderen Zitate diese beiden Aggregatzustände strikt voneinander trennen und alle darauf abzielten uns tröstlich zu versichern, dass alt zu sein auch „toll“ ist und doch noch nicht alles vorbei ist, wenn wir ein paar Falten haben, wird hier Leben als Kunst, als Talent gesehen. Als etwas, was nicht einfach passiert, sondern als etwas, was wir lernen, worin wir uns üben, etwas das wir aktiv bestimmen. Das Gleiche gilt für das alt sein und das jung sein – das passiert uns nicht einfach, im Gegenteil. Jeder dieser Zustände hat einen eigenen Charakter, eigene Möglichkeiten, aber auch eigene Herausforderungen.
Vielleicht hat Chagall es so nicht sagen wollen oder gemeint, vielleicht wollte er wie die anderen uns auch nur trotzig das Kinn entgegenstrecken und sagen: „Ich bin alt, na und, bin trotzdem ’ne coole Socke.“ Oder so. Oder vielleicht hat er, mit der Dualität der zwei Heimaten, die er stets fühlte und lebte, auch besser oder instinktiver als andere verstanden, dass nichts in diesem Universum losgelöst von allem existieren kann. Aber alleine die Tatsache, dass er mich zum Nachdenken gebracht hat, dass da etwas war, wo ich anknüpfen wollte und konnte, zeigt genau den Unterschied zwischen Chagall’s Zitat und leeren Wohlfühlhülsen.
Leere Wohlfühlhülse von der wunderbaren Jeanne Moreau –
Alternde Menschen sind wie Museen: Nicht auf die Fassade kommt es an, sondern auf die Schätze im Innern.
Etwas echtes, etwas mit Tiefe, macht uns immer mehr. Sei es dadurch, dass es uns mehr zum Nachdenken bringt, mehr zum Fühlen oder dass wir es für uns mehr zurückweisen.
Und mit weniger als mehr sollten wir uns einfach nicht zufrieden geben.