Frei sein – ist das mehr oder weniger?

Ich wohn in Hamburg und einmal die Woche gehe ich eine Straße entlang, auf die seit Monaten immer jemand schreibt „Frei sein“. Als ich es das erste Mal gesehen habe, dachte ich, das sei Teil eines Straßenfestes, eines Kindergeburtstags, einer Werbe- oder Künstleraktion. Aber die Freiheit krallt sich seit Monaten zäh am Asphalt fest. Dieses „Frei Sein“ ist nun der Grund für diesen Beitrag. Ursprünglich sollte es nur ein Beitrag sein, aber dann war ich bei über 1300 Wörtern und noch nicht mal bei der Hälfte dessen, was ich zu sagen hab und das wollte ich Euch nicht zumuten. Daher wird dies nun ein Bikini (Zweiteiler, Ihr wisst schon). Dieser Part ist also der Aufgalopp und Teil zwei folgt die Tage. Enjoy it.

Das „Frei sein“ ist mit Straßenkreide gemalt, also muss jemand das täglich neu machen. Ich finde, das gibt dem Ganzen eine zusätzliche Dimension. Sich vorzustellen, wie jemand still und stumm für uns Botschaften hinterlässt, ist irgendwie bewegend. Ein bunter, stiller Kampf gegen die hirnlähmende Monotonie. Noch rührender dadurch, dass es mit Kreide gemalt ist, und dadurch immer wieder auf’s Neue geschrieben werden muss. Als ich es das erste Mal gesehen hab, war ich kurz ergriffen, hab überlegt, ob ich es photographieren soll, weil es so nett ist, aber dann haben mich zwei Dinge gestoppt.

Das erste ist was trauriges, erschütterndes: Ich war mir nicht sicher, ob es echt ist.

War mir nicht sicher, ob dies ein echter Mensch wirklich gefühlt und erdacht hat, ob es ihm so wichtig war, dass er es an mehreren Stellen auf die Straße gemalt hat und die Botschaft jeden Tag neu in die Welt hinausmalt oder ob ein Werbecomputer hinterrücks und perfide aufgrund unserer psychologischen Merkmale dies als strategisch guten Angriffspunkt, als weiches Ziel errechnet hat und mein Gehirn praktisch in diesem Moment mit feindlichen Botschaften im Rahmen von psychologischer Kriegsführung beschossen wurde. Als nichts anderes empfinde ich es, wenn mich Menschen als „Target“ sehen, mich und mein Verhalten psychologisch profilen und Strategien entwickeln, um mich da zu treffen, wo ich am angreifbarsten bin (Ihr sehr es sicher schon kommen: irgendwann gibt das noch einen Beitrag, der sich gewaschen hat!).

Ich finde das wirklich und ernsthaft erschütternd, dass ich mir heutzutage nicht mehr sicher sein kann, dass eine zutiefst menschliche Aussage und Handlung auch tatsächlich von einem Menschen für einen Menschen getätigt wurde. Die Werbekriegsführenden machen sich unsere Handlungen, Vorlieben und Leidenschaften zunutze, dringen undercover in unsere Feste, Blogs und Cafes ein, um uns auszuspionieren, um ihre Ziele zu erreichen und um letztendlich gut getarnt so zu tun, als ginge es ihnen um „Freiheit“, wenn das ganze in Wahrheit nur dazu dient uns ein Parfüm namens „Freedom“ zu verchecken. Ich fühle mich zutiefst benutzt in solchen Momenten.

Nun gut, ich kann immer noch nicht ausschliessen, dass es nicht doch eine monatelange Werbekampagne ist, bei der „Frei Seins“ gesucht werden müssen und für jede gefundene Freiheit kriegt man einen Stempel und bei 10 Stempeln entweder eine rosane Straßenkreide oder ein Gummiboot. Da die Botschaft immer wieder augetaucht ist und ich keinen Anstieg an Gummibooten auf der Straße bemerken konnte, war ich irgendwann ziemlich sicher, dass ein echter Mensch diese Worte geschrieben hat.

Der zweite Grund, warum ich die Freiheit nicht photographiert habe, ist schon etwas wackliger. Persönlich wackeliger für mich. Ich hab es nicht getan aus reiner Elitärtheit. Mir fällt grad auf, dass ich das Substantiv für elitär nicht kenne, gibt es denn keines oder steh ich grad irgendwie auf’m Schlauch? Elitärung, Elitärigkeit, Elitären, Elitärisierung? Gilt nur elitäres Verhalten? Könnt Ihr mir aushelfen? Wie auch immer, die traurige, etwas häßliche und beschämende Wahrheit ist: Ich hab mich für zu gut dafür gehalten. Und wie gesagt, mich gleichzeitig bissle dafür geschämt, aber nicht genug, um nicht elitär zu sein. Ihr denkt Euch jetzt sicher: „Wow, ganz schön krasser Scheiß so elitär sein und so. Das muss man sich mal vorstellen! Und damit dann umzugehen und so – aber WEM oder WAS gegenüber war WskS denn nu elitär???“

 

imageDie haben keinen Namen, aber ich erkenne sie, wenn ich sie sehe. Ihr sicher auch. Es sind die Sorte Leute, die das gekreidete „frei sein“ „spannend“ finden. Ja, ich benutze das Wort auch, weil es eben so gut passt manchmal. Aber spannend und „spannend“ sind zwei paar Schuhe. Mit „spannend“ und „interessant“ verbindet mich eine Hassliebe, weil die beiden sich einfach zu oft von Leuten benutzen lassen, die denken sie sind frei, so tolerant und so „besonders“ offen. Dabei sind sie fast noch unfreier, als die, die das ganze Theater um Freiheit, Seele, Toleranz und so’n Zeug gar nicht erst wahrnehmen.

Sie sind so unfrei, diese „spannend interessanten“ Menschen, so in sich selbst und in ihre Vorstellung von sich selbst verliebt, dass sie das Leben selbst überhaupt nicht mehr wahrnehmen können. Sie haben sich in Ihrer Selbstverliebtheit so verfangen, dass sie praktisch permanent die Rolle „weltoffener, lockerer, empfindlicher Typus Mensch“ spielen, anstatt tatsächlich einfach unvermittelt zu leben. Zu existieren. Diese Menschen sind praktisch Teil einer endlosen Realityshow. Und sie machen mir Gänsehaut. Eine gruselige Gänsehaut! Also war ich lieber vorsichtig und hab das „Frei sein“ erstmal gelassen, wo es war, damit ich nicht womöglich noch aus Versehen eine Nebenrolle in einer Realityshow spiele. Kann ja auch gut sein, dass das in sich selbst verschossen und von der eigenen Wichtigkeit und Lässigkeit eingenommen sein, ansteckend ist. Wisst Ihr mit Sicherheit, dass es nicht so ist? Ich nicht. Und bei sowas geh ich lieber auf Nummer sicher.

Halt den Moment!

Aber heute war das anders. Heute hab ich den Aufruf zur Freiheit oder die Erklärung des freiheitlichen Ausnahmezustands mit nach Hause genommen. Und das war so: Heute bin ich wie jede Woche diese Straße entlang gegangen und hab dabei über das nachgedacht, was ich hier und heute, praktisch jetzt, in diesem Moment, nein jetzt in diesem Moment, nein, stop halt.. Shit! Je mehr ich versuche den Moment zu erwischen, desto mehr Momente kommen zwischen ihn und mich…Was soll ich nun tun? Wenn ich jetzt aufhöre zu schreiben, schreibe ich ja im Moment gar nicht mehr! Muss ich die Hoffnung auf den Moment ganz aufgeben? Haben wir so viele, dass wir sie einfach so verschleudern können und wenn wir merken, dass es einer ist (ein Moment), dann haben wir ihn auch schon wieder verpasst. Die Katze oder der Hund jagt dem eigenen Schwanz hinterher war für mich noch nie ein niedliches Bild. Ich fand das immer schon grausam, ein Bild nahe am überbrodelnden Irrsinn. Ohje, wie finde ich hier nun wieder raus, zurück auf die Strasse der Freiheit? Am besten wie’s Pflaster abreissen, mit einem kräftigen Hauruck.

schreiben werde. Und das, was ich schreiben wollte, sollte ein Beitrag werden mit dem Titel „Die Eroberung der Welt“. Thema war mein Alltag und wie ich darin mir meinerseits jeden Tag auf’s Neue, zäh mit Kratzen und Beißen und Bellen Freiheit erobere. Und dann hat mir das „Frei sein“ so deutlich in’s Gesicht gestarrt, dass ich diesmal einfach nicht anders konnte, als es aufzuklauben und mit nach Hause zu nehmen. Und nu sind wir hier gelandet, schauen uns an und wissen nicht genau, was wir voneinander halten sollen. Das „Frei Sein“ und ich.

Denn das mit der Freiheit ist so eine Sache. Janis Joplin hat für mich den einzig gültigen Schlüsselsatz zum Thema Freiheit gesungen. Oder habt Ihr auch noch tolle Sätze dazu?

„Freedom is just another word for nothing left to lose“

Und zwar deshalb, weil genau diese Frage der Dreh-und Angelpunkt der ganzen Freiheitsgauklerei ist: Heißt mehr Freiheit haben, dass man mehr zu verlieren oder mehr zu gewinnen hat?

Wenn man ernsthaft anfängt über den Satz nachzudenken, wird das Ganze schnell ein sich um sich selbst wirbelnder Irrgarten. Allein die Fragestellung ist schon so hakelig, weil wir im Kopf – zumindest ich – die Worte mehr und weniger natürlich als gegensätzlich verbucht haben. Und zu denken, dass mehr haben heißt, weniger zu haben, macht mich schwindelig. Jetzt kann das natürlich an mir liegen, sein, weil mein Denken ja so merkwürdig strukturiert ist, aber für mich ist das irgendwie verquer. Ich muss mich dreimal um mich selbst drehen, um überhaut die Fragestellung oder Aussage zu verstehen. Geht Euch das auch so? Das würde mich sehr interessieren.

Wie bei vielen anderen Dingen, hab ich auch hier gemerkt, dass sich meine Meinung zwischen heute und der Zeit, als ich ein jungspundiger Teenager und Twen war, geändert hat. Was übrigens ganz lustig ist, denn als T(w)eenager hätte ich das laut und entrüstet von mir gewiesen. Damals war es für mich unvorstellbar, dass sich meine Meinung jemals ändern könnte, denn „ich bin ja ich, egal wie alt ich bin“. Ach, die süße, unschuldige Jugend! Niedlich! Als Jungmensch also war ich ganz klar der selben Meinung wie Janis und hab das auch mit der Definität der fehlenden Lebenserfahrung, der ganzen Wucht meiner noch unverbrauchten Kraft und Überzeugung und dem noch nicht getesten Glauben an Konstrukte wie Liebe, Menschen, Partnerschaft in die Welt hinaus trompetet: „Ich will gar nicht frei sein, weil das ja bedeutet, dass Du niemandem wichtig bist und Dir auch niemand wirklich wichtig ist.“ Niedlich. Aber waren wir wohl alle mal.

Wenn man mal genau hinschaut und überlegt, welche Verknüpfung ich damals gezogen hab, ist das bemerkenswert. Ich hab Freiheit sofort auf die persönliche Ebene bezogen. Das war für mich die einzig denkbare Deutung dieses Satzes. Dabei gibt es ja ganz viele Ebenen der Freiheit – die gesellschaftliche, die gedankliche, die finanzielle, die berufliche, die gesundheitliche und so weiter und so fort. Aber damals war ich sehr auf die emotionalen Bindungen fixiert. Den Rest hab ich zwar wahrgenommen, aber irgendwie als garantiert angesehen: Ja, darauf hat das sicher auch Auswirkungen, aber damit könnte ich leben oder die würde ich hinkriegen, aber das, was wirklich zählt, ist die emotionale Ebene. Auch das denke ich, ist vielleicht ein Zeichen der Jugend?

Wenn man jetzt weiter in den Satz reinschaut, fällt mir auf, dass ich kümmern und schätzen damals mit Unfreiheit gleich gesetzt hab. „Wenn Du jemand liebst, bist Du gefangen, verankert, verpflichtet.“ Das habe ich damals durchweg als was positives angesehen, heute tue ich das zwar prinzipiell auch noch. Aber auf eine ganz andere Art und Weise.

Damals dachte ich, wenn Du jemand liebst, dann musst Du dafür einen Preis zahlen und dieser Preis beinhaltet viele, viele Dinge und unter anderem auch die Freiheit. Und als Gegenstück für den Preis, kriegst Du dann jemand, mit dem Du verbunden und verknüpft bist. Der schuldet Dir was und Du schuldest dem was. Natürlich hab ich das nicht so kaltherzig gedacht, sondern mit Herzchen, Rüschen und Röschen. Aber Ihr wisst schon, was ich meine.

Hier endet der erste Teil. Im zweiten Teil versuche ich zu erklären, wie sich meine Einstellung zu „Frei Sein“ grundlegend geändert hat. Was Freiheit für mich heute bedeutet und wie viele Bereiche sie umschließt. Und es geht darum, wie ich mir heute Beziehungen vorstelle und wünsche. Freundschaften und Partnerschaft. Und um die Frage, ob die Menschen wirklich frei sein wollen oder ob es sie glücklicher macht unfrei zu sein und ich freu mich total Euch davon zu erzählen und bin gespannt, ob und was Ihr dazu sagt und denkt. Wenn ich mir das alles so anschau, wird das vielleicht sogar ein Dreiteiler!

Bis dahin, Ihr Lieben und na, Ihr wisst schon : „Frei sein“

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