Ok. Heute war ein beschissener Tag. Anstrengend. Mein Hirn ist weichgekloppt und ich hab Hirnschmerz. Doch. Das gibts. Aber obwohl es so ein beschissener Tag war, ist es ein Fortschritt zu gestern. Diese merkwürdige Traurigkeit, die mich umfangen hatte, die sich fremd und überwältigend über mich gelegt hatte, ist am sich verwandeln in was anderes. Sie löst sich nicht auf. Der Grund dafür ist, dass es keine emotionale Traurigkeit ist, die von mir, aus mir kommt, sondern irgendwas anderes. Deswegen kann ich sie nicht willkommen heißen. Normalerweise habe ich eine für mich schöne Art gefunden mit Traurigkeit umzugehen: Ich setze mich in sie rein.
Ich hab vor ein paar Jahren gemerkt, dass je mehr ich versucht das traurig sein weniger zu machen, desto mehr ist es geworden. Bis es irgendwann eine große Welle war, die vor mir aufgeragt hat, wie ein drohender, gärender Felsvorsprung und bereits ihre Schatten auf mich geworfen hat, bereit zuzuschlagen, zuzubeißen und mich unter sich zu begraben in genau dem Moment, wenn meine Abwehrkraft auf 0 ist.
Ich hab eine ganz komische Art und Weise mit meinen Gefühlen umzugehen, die ich selbst nicht genau beschreiben kann. Es ist, als hätte ich irgendein geheimes, instinktives Wissen über mich selbst, über Gefühle, das mich dann auffängt, wenn ich selber nicht mehr weiter weiß.
Und dann passieren wundersame Dinge.
Ich kann selbst Jahre später nicht erklären, begreifen oder fassen, wie ich darauf gekommen bin mich so oder so zu verhalten oder diese und jene Entscheidung zu treffen. Es ist wie ein Autopilot, der die Steuerung übernimmt: Monatelang noddel ich an was rum, versuche es so oder so, versuche es zu erzwingen oder gehen zu lassen und komme nicht weiter. Und plötzlich marschier ich los und treffe Entscheidungen, die mir im Rückblick mein Leben gerettet haben (nicht mein reales Leben, aber mein Gefühlsleben, mein psychologisches Leben): Da gibt es einen winzigkleinen Moment, an dem ich glasklar in der Lage bin zu fühlen, was mein größter Bedarf ist. Was genau ich dringend brauche – und nicht in schwammigen Begriffen, sondern in ganz klaren Ein-Gefühl-Worten. Und wenn ich diesen Gefühlsblitz hatte, dann bin ich wie ein aufgezogenes Maschinchen und mach mich auf den Weg, stapf los, um genau das umzusetzen und zu bekommen, was ich brauche. Ohne wenn und aber. Unstoppbar.
Das ist ganz mirakulös, selbst für mich, die ich mich ja nu schon ein paar Jahre kenne
Und so ist das auch mit dem traurig sein. Ich hab versucht damit umzugehen, wie wir eben alle wohl irgendwann mal versuchen damit umzugehen, um es aus dem Weg zu schaffen und wieder einwandfrei funktionieren zu können. Ich hab mit dem traurigen Ding argumentiert, versucht vernünftig mit ihm zu reden: schau mal, Du hast soviel wofür Du dankbar sein kannst (als würde das irgendwas bedeuten!!! Bullshit!), hab versucht streng zu sein: Nu reiß Dich aber mal am Riemen (Du kannst mich mal!), hab versucht Deals auszuhandeln und was man eben alles so versucht.
Im Nachhinein sehe ich, dass ich letztendlich immer versucht habe, die Traurigkeit wegzukriegen. Ich hab mich aber nie mit ihr befasst, sondern sie immer nur als Störenfried gesehen. Bis ich dann einen meiner mirakulösen Momente hatte. Und wie immer kam er genau in dem Augenblick, als ich nicht mehr weiter wusste und verzweifelt war (ich hab grad Gänsehaut, während ich das erzähle, weil es mich so berührt). Im Moment der Kapitulation.
Und ich glaube, das ist meine größte Stärke: Dass ich kapitulieren kann. Ohne Bitterkeit, ohne Nachkarten und ohne das Gefühl, dass es ein Versagen wäre
Ich glaube, dass ich damit instinktiv den Weg frei mache für Veränderung und Wachsen. Wenn ich weiss, dass ich alles versucht hab, was ich machen kann, dann kann ich loslassen. Nicht, weil ich das heroisch beschließe oder talentvoll gelernt hab, nein, das ist keine Leistung oder so, es ist eine der Fähigkeiten, die eben zu meinem ich-sein gehören. Nun jedenfalls in dem allerersten Trauermoment hat mich der Autopilot gepackt und hat mich in die Traurigkeit reingeschmissen. Mittenrein. Runter in den Trauerbrunnen. Das war wie eine Offenbarung. Ich wusste gar nicht, dass man das kann. Hatte das nie in Betracht gezogen. Da hab ich mich dann hingesetzt, die Knie angezogen, sie mit meinen Armen umschlungen und dann war ich einfach traurig. Bis ich nicht mehr traurig war.
Das ist jetzt schon viele Jahre her und obwohl es sich einfach anhört, war es das nicht. Zum Glück hab ich meine meiste Traurigkeit damals erlebt und verarbeitet. Aber vom Prinzip mache ich das heute auch noch so mit den kleinen traurigs. Vielleicht kann man sagen: Ich lebe sie?
Heute, nachdem ich mich viel mit Gefühlen auseinander gesetzt hab, hab ich für mich einige grundlegende Sachen über meine Gefühle gelernt. Und ich glaube, dieses Gelernte kennen vielleicht auch anderen Menschen?
Mein Gefühls-ABC
Je mehr wir versuchen ein Gefühl wegzudrücken, nicht zuzulassen, desto mächtiger wird es und desto mehr Ventile sucht es sich, um sich auf anderem Weg bemerkbar zu machen und zu schreien: Hier bin ich, ich brauche Deine Aufmerksamkeit. Also erreichen wir mit Verdrängung genau das Gegenteil von dem, was wir erreichen wollen. Ich finde, wenn man das mal emotional verstanden hat und nicht nur mit dem Kopf, ist das ein ganz großer Aha-Moment. War zumindest bei mir so.
Wenn Du was fühlst, dann hat jemand anderes das auch schon gefühlt. Wir sind damit ganz sicher nicht allein. Das fand ich in manchen Momenten ganz tröstlich und hat mich irgendwie verbunden mit der Welt.
Schmerzhafte Gefühle sind genau wie physische Wunden. Sie brauchen Zeit zum Heilen, man muss Luft ranlassen und darf sie nicht zupflastern und manche gehen weg, als wären sie nie dagewesen und andere hinterlassen eine Narbe, die man ein ganzes Leben hat. Und das ist ok.
Es ist wichtig zu unterscheiden, ob das traurig sein aus einem selbst rauskommt, also als ein Teil unseres normalen emotionalen Lebens oder ob es praktisch ein physisches traurig sein ist (durch eine Krankheit, Hormone etc.). Weil das sind zwei paar Schuhe, für die man auch unterschiedliches Handwerkszeug braucht, um damit umzugehen.
Und das wichtigste: Traurig sein fühlt sich zwar total beschissen an, ist es aber nicht. Traurig sein ist nicht schlimm
Puh, das war jetzt irgendwie emotional. Wer danach eine Umarmung braucht, kann sich hiermit -> Umarmung gedrückt fühlen.
P.S. Das sind natürlich alles keine allgemeingültigen Wahrheiten, sondern nur mein eigenes Erleben und meine eigenen Gedanken. Vielleicht kommen sie Euch nah und bekannt vor oder vielleicht denkt Ihr: So ein Blödsinn. Beides ist vollkommen ok.
Du sagst es: Traurig sein ist okay.
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Heutzutage glaub ich nicht mehr an ein Konzept von negativen oder positiven Gefühle. Ein Gefühl ist ein Gefühl. Klar, manche machen was gutes mit mir, manche was blödes, aber kein Gefühl muss ich mir selbst versagen. Richtig bewusst ist mir das letztes Jahr geworden in folgender Situation: Mir hat jemand erzählt (es ging um Kindererziehung und Eifersucht bei 10-jährigen Kindern), dass er dem Kind, wenn es eifersüchtig ist und deshalb was gemeines macht oder sagt zu einem anderen Kind, sagt, dass Eifersucht ein schlechtes Gefühl sei, was nicht schön sei etc.. Und dann hat er gefragt, was ich denn da sagen würde.
Ich hab gesagt: „Ich würde dem Kind sagen: Ich versteh, dass Du eifersüchtig bist und Angst hast, dass ich das andere Kind lieber hab als Dich oder dass es was besser kann als Du. Das fühlt sich blöd an, das weiß ich. Aber Du brauchst keine Angst haben. Ich hab Dich immer lieb, egal was ist und vielleicht kann das andere Kind schöner malen und wird dafür gelobt – aber Du kannst schöner singen und wirst dafür gelobt. Jeder ist mal eifersüchtig, da brauchst Du Dich nicht zu schämen oder schlecht fühlen deshalb. Aber wenn Du das nächste Mal eifersüchtig bist, dann sag mir das, dann sprechen wir darüber und machen, dass die Eifersucht weggeht.“
Das ist, was ich heute glaube: Jedes Gefühl ist ok. Was wirklich wichtig ist, ist dass wir wissen warum wir es fühlen und was wir dafür oder dagegen machen können. Dass man die Gründe für die Gefühle, die wir nicht haben wollen, anschaut und den Grund beseitigt anstatt versucht nur das Gefühl wegzudrücken. Denn solang der Grund für das Gefühl da ist, wird auch das Gefühl immer wieder kommen. Ich versteh, dass nicht jeder mein Konzept nachvollziehen kann, aber für mich fühlt es sich richtig an. Freut mich total, dass es Dir auch was gibt!
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Das, was du da beschreibst, finde ich ganz großartig. Es gibt kein „richtig“ und kein „falsch“, aber für mich persönlich wäre es genauso wie du es gemacht hast, auch subjektiv empfunden „richtig“ gewesen. Du nimmst dem Gefühl damit jegliche Wertung und würdest einem Kind damit zeigen, dass- wie du selbst sagst – alle Gefühle okay und berechtigt sind. Andererseits signalisierst du dem Kind mit deinen Worten, dass du es unterstützt und mit ihm über seine Gefühle reden möchtest, wenn es Bedarf danach hat… ich kann mich da total mit dir identifizieren. 🙂
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