In Wahrheit gibt es sowas wie Wahrheit nicht

Sowas wie Neutralität gibt es nicht. Somit kann es auch sowas wie Gerechtigkeit nicht geben. Zumindest nicht wenn Menschen involviert sind.

Ich bin immer wieder auf’s Neue erstaunt, wenn Menschen wirklich an solche Konzepte wie Wahrheit, Gerechtigkeit, Realität in einer ultimativen, eindimensionalen Art und Weise glauben. Ich kann es verstehen, wenn man emotional an sie glaubt oder glauben will, als eine Art Utopie, etwas wonach zu streben sich lohnt. Aber dass jemand wirklich rational denkt, dass Menschen gerecht sein können? Das entzieht sich meinem Verständnis.

  
Ich akzeptiere solche Ideen und Worte als Übersetzer, als Verständigungsmittel. Wenn Herr A von Gerechtigkeit redet, dann weiß Herr Z. was damit gemeint ist , weil sie im selben Gesellschaftskreis leben und wissen, welche Bedeutung dieses Wort hat. Aber das ist alles. Niemand kann ernsthaft glauben, dass ein Richter, ein Geschworener oder Staatsanwalt neutral oder gerecht ist. Das ist einfach unmöglich. Rein technisch unmöglich. Weil wir alle unterschiedliche Empfindungs- und Erfahrungswelten haben: Für eine Person ist sich 15 min zu verspäten unmöglich und absolut respektlos, für die nächste Person ist das keine große und keine persönlich zu nehmende Sache. 

Keiner von uns kann sich seiner Umwelt, seinen Erlebnissen und seinem Charakter entziehen oder diese komplett ausblenden. Und deshalb gibt es keine generelle, ultimative Gerechtigkeit, keine Wahrheit und keine Realität. Es gibt nur das, was wir als Gerechtigkeit, Wahrheit und Realität ansehen und akzeptieren.

Im alltäglichen Leben können wir uns nicht permanent mit all diesen Grautönen auseinander setzen. Wir würden entweder verrückt werden oder nie vorwärts kommen. Im Alltag sind wir darauf angewiesen schwarz weiß zu denken – zumindest, wenn wir funktionieren und im Austausch mit unserer Umwelt sein wollen. Ich akzeptiere das, lebe das, wie alle anderen, weil ich nicht die Kraft oder auch nur Lust oder Neigung habe immer nach dem Absoluten zu streben, das eh nie erreicht werden kann.

Aber wenn man sich dann mal real und ernsthaft unterhält, dann muss man doch diese kindlichen Vorstellungen loslassen können. Sollte man meinen.

8 Antworten zu „In Wahrheit gibt es sowas wie Wahrheit nicht”.

  1. Avatar von sven_wiesrecker
    sven_wiesrecker

    Ich habe dazu auch einen Beitrag verfasst: https://philolobby.wordpress.com/2016/03/07/die-hoehlenmenschen-der-gegenwart/
    Wahrheit – das ist ein wirklich komischer Begriff. Was ist schon wahr? Und wer ist Richter über die Wahrheit? So etwas wie Gott? Jeder nimmt anders wahr. Also muss Wahrheit etwas individuelles sein. Zumindest scheint sie intersubjektiv zu sein, denn wir stimmen uns als Menschen oft gegenseitig ab. Objektiv kann Wahrheit jedoch nie sein. Eigentlich erst dann, wenn wir alle unsere Augen schließen besteht objektive Wahrheit.

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    1. Ich denke, Begriffe wie Wahrheit, Gerechtigkeit sind Übersetzungen, die eine Idee beschreiben, aber eben keine Tatsache oder Handlung. Wenn ich ein Haus baue, dann ist für jeden klar, das ist was definitives, während: Ich bin gerecht, für die meisten Menschen was relatives bedeutet.

      Ich seh die Menschheit wie ein Aufziehschlüsselpendel: Wir pendeln in eine Richtung, dann merken wir das und pendeln in die engegengesetzte Richtung, bis wir merken: Oh, zuviel in die Richtung, besser wieder gegensteuern. Das alles passiert unbewusst, automatisch seit jeher, da mach ich mir nicht so viele Sorgen um die Zukunft. Ich denke aber, dass das ganze Pendeln endlich ist:Denn gleichzeitig sind wir wie ein Aufziehschlüssel und mit jedem Pendelausschlag kommen wir näher an den Punkt, an dem keine weitere Umdrehung mehr möglich ist.Und von dieser Warte her gesehen macht mir die Zukunft schon Angst.

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      1. Avatar von sven_wiesrecker
        sven_wiesrecker

        Die Pendeltheorie finde ich wirklich sehr interessant! Warum bist du der Meinung, dass dieses Pendeln endlich ist?
        Tatsächlich muss man dringend zwischen relativen Begriffen wie „Gerechtigkeit“ und festen Begriffe wie „Haus“ unterscheiden. Wenn man aber genau hinsieht, fällt auf, dass unsere gesamte Wahrnehmung stets relativ ist. Ohne das Hässliche gesehen zu haben, werde ich nichts schön finden. Ohne den Stress würde ich die Ruhe nicht schätzen. Und so scheint die gesamte Welt ein Konstrukt aus Erfahrungen zu sein…

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        1. Bin mir nicht ganz sicher, ob das mit den Gegensätzen tatsächlich so ist oder ob das ein Konstrukt ist, um uns über schlechte Zeiten wegzuhelfen oder uns zu trösten? Wissen hilft sicher was einzuordnen/einzuschätzen, bin aber nicht sicher, ob es tatsächlich notwendig ist, um prinzipiell zu erkennen/zu fühlen?

          Dass das Pendel endlich ist, glaube ich aus 2 Gründen: Der 1. Grund sind: Beobachtungen „im kleinen“: Nimm die verschiedenen Herrschaftszeiten, die wir hatten, z.B. die Römer: Menschen gehen immer vorwärts, es gibt nie Stillstand und nie ein zurück, d.h. sie treiben immer auf den Punkt zu, an dem es zum Zusammenbruch des alten kommt und das läuft -im groben -immer so: schwierige Zeit–>Kampf gg schwierige Zeit–>> gute Zeit–>Eskalation der guten Zeit–>Zusammenbruch. Als würde ein Rad auf einer abschüssigen Ebene in Bewegung gesetzt, das dadurch eine eigene Dynamik entwickelt. Und wenn man das auf’s große überträgt und in echt großen Zeitdimensionen denkt, glaube ich, dass so wie kleine Teile der Menschheit sich verhalten haben, auch wir als Gesamtheit uns verhalten. Dass so wie vergangene Dynastien gestürzt sind, auch wir als Menschheit (in unserer jetzigen Form als „zivilisierte“, beherrschende Art auf diesem Planeten) auf Auslöschung hintreiben. Der 2. Grund ist, dass ich das emotional so fühle, ohne dass ich dafür irgendwie eine andere Begründung hätte. Außer vielleicht die Beobachtung, dass die Menschen sich immer weiter von allem, vor allem von sich selbst, entfremden/entfernen. Deshalb denke und fühle ich, dass wir als Menschheit auf Zusammenbruch-Kurs sind. Beobachte übrigens, dass das inzwischen ein total verbreitetes Gefühl ist, vielleicht sogar das vorherrschende?

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          1. Avatar von sven_wiesrecker
            sven_wiesrecker

            Wenn das so ist, wie du es beschrieben hast. Ist das Pendeln dann nicht eher unendlich als endlich? Das Ende des Pendelns würde ja bedeuten, dass wir auf ein Ziel zusteuern. Und somit hätten wir alles erreicht. Auf schlechte Zeiten folgen gute Zeiten. Auf jede Form folgt eine Reform. Und das Pendel gerät wieder in Schwung.

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            1. Natürlich glaube ich nicht daran, dass die Welt oder das Universum oder die Zeit endet, nur weil wir enden. Das Pendel an sich ist ist sicherlich viel weitreichender als wir und erscheint uns daher unendlich. Vielleicht ist es das auch, keine Ahnung. Wie wir, funktionieren aber auch Natur, Umwelt, All etc. nach einem Prinzip des Erneuerns, auch wenn das manchmal in Zeitintervallen passiert, die wir nicht greifen können. Irgendwann stirbt jeder Baum, jeder Planet, nichts kann unendlich erneuert werden, daher ist es irgendwie auch nur folgerichtig, dass auch unsere Zeit irgendwann kommt.

              In der Menschheitsgeschichte scheint es immer einen Punkt zu geben, wo die Welle bricht. Es geht auf-und vorwärts in einem Maße, in dem noch alle mitkommen. Es erfüllt einen Zweck, daher können die Menschen sich zusammenschließen hinter diesem Zweck und zusammenarbeiten. Und dann kommt der Punkt, an dem das vorwärts keinen Zweck mehr erfüllt, praktisch selbst zum Zweck wird und das erscheint mir der Punkt zu sein, an dem das, was vorher positiv war, zu etwas zerstörerischem wird. Und ich denke, dass dieses Prinzip auch im großen vorherrscht und dass wir uns irgendwann selbst überleben, unseren Zweck erfüllt haben. Daher denke ich auch, dass es wahrscheinlich ist, dass selbst wenn wir nicht unmittelbar selber unseren Untergang verursachen, prinzipiell selbst dafür verantwortlich sein werden (durch Umweltschäden, Krieg etc.)

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              1. Avatar von sven_wiesrecker
                sven_wiesrecker

                Ich finde die Vorstellung interessant, dass unser „Zweck“ eines Tages erreicht ist. Ich würde das übersetzen mit dem „Sinn des Lebens“. Ich glaube, jeder kann diesen individuellen Zweck für sich selbst festlegen und sich dem als Handlungsmaxime annähern. Aber was wäre wenn der Sinn des Lebens erreicht wäre? Das Leben hätte keinen Sinn. Deshalb glaube ich, dass der Zweck nur ein Maßstab, niemals ein Ziel ist.

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                1. Ich glaube, ich denke einfach nicht in so engen Begrifflichkeiten. Ich glaube nicht mehr daran, dass allem von uns eine (Be)Deutung gegeben werden muss, weil wir nicht so bedeutend sind. Das hat für mich auch was mit Sicherheit zu tun, ich fühle mich sicher genug, dass ich akzeptieren kann, dass Dinge losgelöst von mir oder den Menschen existieren.

                  Daher hat für mich Zweck weniger mit Sinn des Lebens zu tun, weil ich an sowas nicht mehr glaube. Ich glaube inzwischen eher, dass das Leben oder die Existenz an sich ein Sinn ist und ich ihm daher keinen zusätzlichen geben muss. Das hat für mich was mit Freiheit und mit Sicherheit zu tun. Kann das nicht so gut erklären. Vielleicht so: Je mehr ich Dinge benenne, desto mehr nehme ich ihnen ihre eigene Identität und ersetze sie durch meine eigene. Das ist was typisch menschliches. Das hat uns an die Spitze der Nahrungskette gebracht, weil wir alles andere verdrängen und nicht wahrnehmen und ist gleichzeitig unsere größte Schwäche (gutes Beispiel für diese Schwäche ist der Krieg). Bestimmte Naturvölker haben sich dem z.B. dieser Eroberung/Verdrängung/Verfremdung auuch verweigert und sind folgerichtig selbst verdrängt worden.

                  Das klingt total abgeklärt, ist aber letztendlich nur eine Folge von Spezialisierung: ich hab da einfach viel drüber nachgedacht und dann ergibt sich automatisch eine Evolution dessen, woran man glaubt oder dessen, was man weiß. Wenn einer viel Klavier übt, entwickelt sich sein Klavierspiel, wenn einer viel nachdenkt, entwickeln sich die Ideen und Meinungen.

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