Na klasse! Von einer Bahnfahrt und anderem Unsinn

Ok. Neulich ist mir was passiert, das mich immer noch zum giggeln bringt. Ich war krank, mir ging es richtig schlecht (nein, keine Angst, das ist nicht das, was mich zum giggeln bringt, so weit ist es noch nicht mit mir) und ich musste zum Arzt. Also ich los, aus dem Haus marschiert wie ein braver Soldat und in die Bahn reingesessen.

In der Bahn

Nachdem ich mich in der Bahn zurechtgeruckelt hab, versuche ich zu lesen. Geht nicht. Kind neben mir. Laut. Schaue das Kind strafend an, weil es seit 10min. ein selbst erdachtes Lied mit dem Titel (und dem Text!) „Wo sind wir?“ singt und mir der Schädel bald wie eine Melone platzt. Dann fühl ich mich schlecht. Erinnere mich an das schreckliche Mal, als meine Mutter mir Geld geben wollte, damit ich den Mund halte und still bin. Ist noch heute so furchtbar und beschämend, als wäre ich wieder das 6-jährige Kind von damals. Also lächele ich, im Bemühen es wieder gut zu machen, das Kind an. Kind ist aber nu gänzlich verwirrt und fängt an zu weinen. Na klasse, gut gemacht.

Die Mutter packt ihr Kind ein, hat nichts mitgekriegt von unserem kleinen wortlosen Drama, weil sie auf einem Tablet was liest. Wahrscheins ein Buch über Kindererziehung. Sie nimmt das Kind am Arm, wie eine Tasse am Henkel und hievt es raus aus der Bahn. Kriege neue Nachbarn.Skins 032 Paar, das sich gegenüber sitzt und in das jeweilige Handy starrt. Und schweigt. Zumindest oberflächlich. Wer weiß, vielleicht schreiben die sich gerade gegenseitig eine SMS („Wo bist Du grade? Wir müssen dran denken Salami zu kaufen. Hier in der Bahn ist ein Typ, der aussieht wie Micky Maus. LOL“). Um nicht noch mehr Menschen zum Weinen zu bringen, schaue ich stur auf einen mir unbekannten Punkt. Bis ich merke, dass der Punkt ein mittelalter Mann ist, den ich nun schon 10min gebannt anstarre. Na klasse, gut gemacht.

Er schon reichlich ungemütlich, versucht wegzuschauen und unbeteiligt zu tun. Aber wie von einem Magnet angezogen oder einem Puppenspieler bewegt, dreht sich sein Kopf immer wieder nach vorn zu mir. Heimlich muss er schauen, ob ich noch schaue. Was dazu führt, dass wir dann beide schauen. Erst hin, dann weg, wie von der Tarantel gestochen. Ein Teufelskreis! Ich hoffe nur, ich bring nicht zwei Menschen auf einer einzigen Bahnfahrt zum Heulen. Eigentlich interessant! Überlege dann, ob das vielleicht ein Rekord wäre und wo man rausfinden könne, ob dem so sei und wie ich verifizieren kann, dass ich tatsächlich dieses unglaubliche Talent habe. Seh mich im Geiste schon auf Dorfkirmessen mit spitzem Sternenhut in einem lila Zelt sitzen und für 9€ Leute zum Weinen bringen. Muss lächeln, was der mittelalte Mensch nun auf sich bezieht. Er lächelt zurück. Shit, das war es wohl mit dem Rekord und den Kirmessen. Naja, konnte festendes Volk im Pulk eh noch nie leiden. Meine Station. Nun raus aus der Bahn, schnell verstohlen umschauen, ob der Mensch weiterfährt. Sind zwar jede Menge Menschen hier, aber der mittelalte nicht. Puh, na klasse, Glück gehabt.

Nicht mehr in der Bahn

Also in’s Arzthaus und Treppe hoch (per Aufzug), anmelden bei Sprechstundenhilfe (haben Sie auch genug Zeit mitgebracht? Nee, Mist, die hab ich total vergessen! Was machen wir denn jetzt?!), im Wartezimmer Löcher in die schwere, überheizte Luft starren, die mir die Augen ausdörrt. Diesmal passe ich auf, dass es auch tatsächlich Luft ist (haben Sie denn auch genug Luft mitgebracht? Nu, weiß nicht, kommt auf die Zeit an, die ich vergessen hab mitzubringen). Dann aufgerufen werden wie ein Pennäler, was ein geniales, wunderschön rundes Wort ist, das man viel zu selten nutzen kann, deshalb bringe ich es an, wo es nur halbwegs geht. Im Arztzimmer dann ruckizucki verarztet und wieder vor die Tür geschoben werden.

Das war es dann mit dem Vorwärts. Ab jetzt geht’s retour. Der Wendepunkt, das Ziel ist erreicht, nun läuft das das ganze im Rückwärtsgang wieder zurück zum Ausgangspunkt. Tschüß sagen zur Sprechstundenhilfe – ich verkneife mir alle weiteren Scherze zu vergessener Zeit und Luft, obwohl ich einige unglaubliche Kracher parat hätte. Nee, bin ehrlich, geb es zu, da war nix mehr. Also Treppe wieder runter (diesmal nicht per Aufzug, sondern per Pedes, perplex, nicht wahr), durch die Tür auf die Gass (ach – hier hab ich die Luft gelassen! Doing!) und da lauf ich einem Bekannten in die Arme oder besser gesagt vor’s Schienbein. Ich hätte das als Omen nehmen und direkt weiterlaufen sollen! Na klasse!

Natürlich muss ich als allererstes die Tatsache strategisch platzieren, dass ich krank bin. Zieh also gleich meine „Ich bin krank, komm grad vom Arzt“-Karte, um zu erklären, warum ich ausseh, wie ich ausseh. Kann die Erleichterung meines Gegenübers förmlich spüren. So viele potentielle Gefahrenherde, mit einem Schlag umgangen. Puh! Es hat sicher schon gerattert bei ihm im Kopf: „Meine Güte, sieht die fertig aus! Oh Gott, vielleicht hat die grad geheult? Sag ich was oder tu ich so, als seh ich nix? Die schaut auch immer so traurig, das hab ich letztes Mal auch schon gedacht.“ Aber zum Glück für uns beide hab ich uns ja vor dieser Peinlichkeit bewahrt. Erstmal. Wir schwätzen also so vor uns hin, dann meint er: „Sag mal, sollen wir kurz einen Kaffee trinken gehen, anstatt hier im Weg rumzustehen?“

Stille.
Hier öffnen sich nun ganze Bataillone von Schützengräben. Innerlich fang ich an zu motzen: Ey, hab Dir grad gesagt, mir geht’s dreckig, ich bin krank und Du fragst mich, ob wir kurz was trinken gehen??????!!??? Willst Du mich verarschen? Ich mein: HALLO, geht’s noch?!? Anscheinend hat sich das HALLO auf mein Gesicht gestohlen, denn er wird nun etwas linkisch, scharrt mit dem Fuß, trippelt hin und her und meint: „Natürlich nur, wenn es Dir gut genug dafür geht, muss ja nicht lang sein, nur ein Viertelstündchen.“ Viertelstündchen am Arsch. Das reißt es jetzt auch nicht mehr raus. Na klasse, nu bin ich angepisst.

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Bin aber zu zwetschig, um mich aufs hohe Ross zu setzen und pikiert zu sein. Was eine absolute Schande ist, denn pikiert sein ist eine der großen Freuden des Lebens. Eine richtige, rechtschaffene Pikiertheit ist so wohltuend und erfrischend wie ein Sprudelbad. Aber an diesem Tag bin ich zu krank um gut pikiert zu sein. Stattdessen spreche ich in beiderseitigem Interesse den Teil der Wahrheit, der unverfänglich ist, zumindest glaube ich in meinem Krankheitstaumel, das sei er: „Du, ich wollte ja nur kurz zum Arzt gehen, ich bin gar nicht angezogen“.

Im Hirn meines Gegenübers rattert es jetzt erneut (der arme Kerl hat wahrscheinlich ein Hirnschleudertrauma vom Unterhalten mit mir!), während in seinem Gesicht unzählige Mikroveränderungen vor sich gehen: Stirn furcht sich, Augen kneifen sich leicht zusammen, Brauen heben sich, Lippenwinkel wandern leicht nach oben, während Lippenmitte sich zuspitzt. Das ganze Gesicht knautscht sich in vorsichtiges Mitgefühl, peinlich berührte Verwirrung und mitgedachte Warnung. Er überlegt nun, wie er mir schonend beibringen kann, dass ich – wissentlich oder unwissentlich – doch was angezogen hab. Vielleicht ist er auch unsicher, was genau mein Ziel war: An- oder unangezogen zu sein.

Nu, das war die Situation. Und immer wieder, wenn ich daran zurück denke, muss ich giggeln. Was genau ich damit gemeint hab, können wahrscheinlich nur Frauen nachvollziehen: Ich meinte damit, dass ich keinen BH an hatte. Ich hatte natürlich sonst alles an, was man als zivilisierter Mensch anhaben muss. Aber eben keinen BH. Ich wollte ja nur kurz zum Arzt und hatte nicht vor meine Jacke auszuziehen. Nu kann ich im Wartezimmer mit Jacke an sitzen, im Cafe ist das etwas albern.

Ohne BH bin ich nicht angezogen.  Zumindest nicht für die Welt. Das gehört zum Angezogen sein, wie Schuhe. Und selbst wenn es sonst niemand merkt, dass der BH fehlt – ich merke es. Jetzt erklär das mal dem armen Menschen und beschwöre damit Bilder herauf, die die ganze Situation noch merkwürdiger machen: Dass ich ja nur kurz zum Arzt wollte, daher keinen BH angezogen hab…. Nee, das lass ich ma lieba sein.

Wir haben dann beide das einzig Vernünftige getan und mich kurzerhand ignoriert.
Er: „Ah, alles klar“, was ich eine nahezu brilliante Wendung dieser Situation finde. Ich „Ok……“. Er: „Dann gute Besserung“ … kurzer Moment der merkwürdigen Peinlichkeit, als wir überlegen, ob wir uns freundschaftlich zum Abschied umarmen sollen, ich in meiner nicht vorhandenen Blöße und er in vorhandener inneren Blöße. Lassen es dann doch lieber bleiben.

Im Nachhinein glaube ich nur eine Sache hätte die Situation retten können: Wenn ich tatsächlich nichts angehabt hätte. Na klasse, muss ich mir fürs nächste Mal merken

2 Kommentare

  1. Die Irre sagt:

    Ey, ich feier dich und diesen Text ja mal so hart! 😀
    Du kannst das so super beschreiben, was einem wirklich durch den Kopf geht! Ich habe mehrmals richtig laut lachen müssen. Uuuund – das BH-Problem: Schwester, High Five, man!

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    1. Das ist mit Sicherheit einer der nettesten, liebsten, witzigsten, verständigsten und coolsten Kommentare, die ich je hatte. Vielen, lieben Dank!!!

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