Auf das Leben gibt es keine einfache Antwort

Ok. In Weißrussland gibt es eine „Sozialschmarotzersteuer“. Wer arbeitslos gemeldet ist (was laut den Politikern dort heißt, er/sie ist ein Sozialschmarotzer), muss dem Staat Geld zahlen für entgangene Steuereinnahmen. Wer das nicht kann, muss zwangsarbeiten in Gemeinden. Nun protestieren da seit Wochen viele, viele Menschen gegen. Wohlgemerkt, in einem autoritär geführtem Land, keiner Demokratie. Das ist krass. Nun wurde das Gesetz „ausgesetzt“, aber die Leute protestieren weiter. In der Hoffnung so die Regierung zu stürzen und das Land zu ändern. Nochmal krass. Und ein „yeah, keep it up“ von meiner Seite!

Was dieses menschenverachtende Gesetz unter anderem aufwirft, ist die Frage: Ist der Staat eigentlich für uns da oder wir für den Staat? (der Frage geh ich ein ander Mal nach) Und: Ist unser Wert als Mensch (nur noch) ein rein wirtschaftlicher? Ich hatte diese Diskussion in den letzten Jahren öfters mit einer Person, die denkt, es ist ok, dass jeder arbeitet und wer das nicht macht, der muss eben gezwungen werden. Zum Beispiel durch Gemeindearbeit. Diese Person konnte nicht sehen, was das letztendlich bedeutet. Nämlich den Untergang. Es öffnet Tür und Tor dazu zu sagen, ein Leben dient der Produktion. Der nächste, logische Schritt ist dann der zu sagen: Und daher ist es auch legitim ein Leben zu optimieren, damit es besser produziert. Zur Not auch gegen den Willen des betroffenen Menschen. Denn wenn man ihn zwingen kann zu arbeiten, dann ist es nur folgerichtig, ihn zu zwingen besser zu arbeiten. Und schrecklicherweise ist dies tatsächlich der Weg, den wir nach und nach beschritten haben. Zur Zeit noch im Schneckentempo, aber wir kommen dahin. Zum Faschismus der freien Marktwirtschaft. Zur Dikatur der Ökonomie. Und die Leute spüren es. Sind unzufrieden, unglücklich, wissen nicht genau warum und noch viel weniger, was sie dagegen tun können.
 

Ich persönlich arbeite, weil es mir Spaß macht und zu meinem Leben gehört. Ich kann mir ein Leben ohne Arbeit nicht vorstellen. Aber genauso kann ich mir vorstellen, dass andere Menschen diese Motivation oder Freude am arbeiten nicht haben. Und für mich ist das ok. Weil ich nicht denke, dass nur Geld verdienen ein Leben wertvoll macht. Ist ja nicht so, dass die, die nicht arbeiten auf einem Fleck still stehen und vermodern. Nein, die machen eben andere Sachen für unsere Gesellschaft. Kinder kriegen (was zum Glück heute auch möglich ist für Menschen, die arbeiten wollen), in der Nachbarschaft schwätzen und damit Menschlichkeit erzeugen, mit Hunden aus dem Tierheim spazieren gehen, jahrelang nur denken und damit die Gesellschaft philosophisch voranzubringen oder in Bars rumpöbeln und Blitzableiter sein für andere Menschen, die sich dann darüber aufregen können, was ihnen Energie gibt, um erfolgreicher zu sein. Und Unmengen mehr.

Ich meine das ganz, ganz ernst: Wenn wir nicht aufhören ein menschliches Leben mit Geld und Arbeit, mit Arbeitsfähigkeit gleich zu setzen, kommen wir in Teufel’s Küche. Für mich hat das Übel hier in Deutschland mit Hartz IV angefangen. Bis dahin war arbeitslos sein zwar nichts tolles, aber das waren trotzdem Menschen. Menschen, die an der Gesellschaft teilhaben konnten, und vor allem sollten, das war ein wichtiger Gesichtspunkt, wenn die Höhe des Arbeitslosengeldes oder der Sozialhilfe festgelegt wurde. Und mit einem Schlag haben wir mit Hartz IV die Grenzen verschoben und plötzlich waren das Schmarotzer, die im Überfluss leben und guten Leuten das Geld aus dem Geldbeutel fressen. Plötzlich galt: Wenn Du teilhaben willst an der Gesellschaft, dann musst Du Dir das mit Geld verdienen. Und unser Gewissen haben wir halbwegs beruhigt mit dem schönen Wort „Langzeitarbeitslose“, was ja beweist, „dass es Tunichtgute sind und von daher ist es sicherlich ok, die härter dranzunehmen“. Genauer hinschauen? Nee, wird schon seine Richtigkeit haben. 

Eine Menge Klischees und Lügen wurden damals in die Welt geworfen. Uns wurde gesagt, das sei der einzige Weg. Was natürlich auch eine Lüge war oder besser eine Notlüge, denn natürlich gibt es tausend andere Möglichkeiten. Was wir jetzt davon haben sind bei weitem die niedrigsten Reallöhne von allen mit uns vergleichbaren Ländern. Wir arbeiten für einen Billiglohn, der oft nicht mal ausreicht, um die Lebenskosten zu decken. Das ist eine Konsequenz von Hartz IV, denn das hat die Tür für diese Mentalität geöffnet. Wir haben viele ausweglose Situationen, Menschen, die permanent in der Defensive sind, müde vom existieren, total ausgeschlossen von allem, eine Menge Kinder, die in Armut leben und nie was anderes gekannt haben. Kinder, die Angstzustände haben und Aggressionen, weil sie die Existenzängste und Mutlosigkeit ihrer Eltern leben. Wir haben viele Menschen, die sich aus dem Druck heraus selbstständig gemacht haben und wieder Pleite gingen oder eine Umschulung und eine Maßnahme nach der anderem gemacht haben, ohne dass was gutes dabei rausgekommen wäre. Wir haben geschönte Statistiken, weil die Arbeitslosenzahlen sinken mussten, unabhängig davon, ob sie wirklich sinken oder nicht.

Anstatt die damalige Situation im historischen Kontext zu sehen (beginnende Globalisierung, Wende, politische Änderungen auf der Welt etc.), hat man sich den leichtesten Gegner und die simpelste Antwort ausgeguckt: Na, die Arbeitslosen sind ja die, die die Probleme machen, also müssen die bluten. Und analog zu den heutigen brexit oder trump Kampagnen, hat man sich mit den gleichen Propagandamitteln dran gemacht Arbeitslose in der Gesellschaft an den Rand zu drücken. Ja, Menschen sind seither in Arbeit gekommen – wären viele davon wohl aber auch so. Bis heute hat noch keiner ehrlich und ernsthaft gewagt aufzurechnen was Hartz IV an Verwaltung kostet im Vergleich zu früher (denn es wurde nicht weniger bürokratisch, sondern blieb gleich oder wurde sogar mehr, denn all die Strafen, Überwachungen, Maßnahmen und Fristsetzungen müssen ja auch verwaltet werden). Oder festzustellen wieviele Menschen tatsächlich gar keine reale Arbeit gefunden haben, sondern in irgendwelche Programme geschubst wurden, damit sie aus der Arbeitslosenstatistik verschwinden. Oder die berüchtigten 1-Euro-Jobs und, und und.

Die Regierung hat sich damals nicht getraut zu sagen, dass das Leben nunmal manchmal beschissen ist. So ist das eben. Manchmal ist eben die Situation schlecht, dann stellt man Weichen für die Zukunft, hat ein bissle Geduld, hält zusammen und dann wird sie auch wieder besser. Aber das trauen Regierungen sich nie zu sagen. Dabei ist es die Wahrheit. Ich versteh, dass die Regierungen sich nicht getrauen das zu sagen, denn wir wollen es nicht hören. Sie haben Angst, wenn sie uns keinen Sündenbock liefern, werden sie einer. Was ich nicht verstehe, ist dass wir lieber belogen werden wollen, als Geduld zu haben, dass wir lieber Unschuldige opfern, als keinen Sündenbock zu haben. Aber so ist das eben. Und daher hat man statt der Realität lieber des Populisten Leib-und Magenspeise serviert: den Sündenbock und die simple Antwort. Und hat damit die Gesellschaft geteilt.

Das schlimmste Erbe, dass wir von Hartz IV haben: Eine Gesellschaft, die nicht mehr genau weiß, was ihre Werte sind. Denn plötzlich kann es uns alle treffen. Nicht nur die Arbeitslosigkeit oder die Arbeitsunfähigkeit durch Krankheit oder Unfall. Nein, schlimmer (falls das möglich ist): Was, wenn sich nun die Grenzen nochmal verschieben? Bisher war es so, dass Du nicht sozial geächtet wurdest, wenn Du Arbeit hast. Was ist nun, wenn sich das wieder ändert und wer zu wenig verdient, ist plötzlich auch nur noch ein Klotz am Bein der Besserverdienenden? Niemand ist mehr sicher. Nichts ist mehr sicher. Diese Angst ist bei vielen nur unterbewußt, sie wissen sie nicht genau zuzuordnen, aber sie ist da und vergiftet unsere Gesellschaft. In den meisten Betrieben und Firmen ist es heutzutage normal, dass die Menschen Angst haben, unzufrieden und verunsichert sind. Ich kann mich noch an ganz andere Zeiten erinnern. Zeiten der Wertschätzung und Sicherheit. In der man als ein Arbeitnehmer ein Partner des Betriebs war. Nicht auf Gedeih und Verderb ausgeliefert. Klar gab es schon immer Firmen, wo es nicht so schön war zu arbeiten, aber das lag dann an einzelnen Menschen. Dieses flächendeckende Misstrauen und die Verunsicherung, die heute in der Arbeitswelt herrschen, sind neu.

Wir müssen für uns alle einstehen. Wir müssen eine klare Grenze ziehen und sagen: Der Wert eines Lebens für die Gesellschaft bestimmt sich nicht über seine finanzielle Produktivität. Das muss die oberste Devise sein. Arbeiten ist ein Recht, keine Pflicht.

An dieser Stelle kommen dann immer die Unker hervor und tun so, als sei jeder Mensch von Natur aus faul und als müssten Menschen per se zur Arbeit gezwungen werden. Ein Blick in unsere Geschichte, unsere Psychologie straft dieses Szenario sofort als Lüge ab. Es ist so einfach das als Angstmacherei auffliegen zu lassen – und trotzdem kommt es immer wieder hoch und hat Erfolg. Ja, es gibt faule Menschen. Aber es gibt auch fleißige Menschen. Wenn Arbeit belohnt wird und Spaß macht, dann wird vielleicht ein fauler auch ein fleißiger Mensch! Aber durch Bestrafung und Druck wird ganz sicher manch fleißiger Mensch auf lange Sicht zu einem kranken oder sich verweigernden oder uninteressiertem Menschen. Und das ist fatal für eine Gesellschaft!


 
Manchen fällt es schwerer als anderen freigiebig oder nächstenfreundlich zu sein. Und das ist ok und überhaupt nicht negativ. Alles hat seinen Grund und seine Berechtigung. Wir alle haben unsere Stärken und unsere Schwachpunkte. Das tolle ist ja, dass wir alle brauchen können, jede Sorte Mensch. Und es ist nunmal schwerer anderen was zugestehen, was abzugeben, als sich nur um sich selber zu kümmern. Aber man muss immer bedenken, dass man das nicht für die anderen macht. Nein, wir machen das für uns. Wir tun das nicht für irgendeinen Fremden. Nein, unsere Gesellschaft, das sind wir. Wir tun das, damit unsere Kinder, Neffen, Nichten, Enkel in einer Gesellschaft leben, in der sie abgesichert und geschätzt sind, egal, was ihnen passiert. Wir alle können ganz schnell plötzlich auf der falschen Seite des Zauns stehen. Und dann fragen wir uns perplex: Warum bin ich plötzlich weniger wert als noch vor 2 Wochen, nur weil mein Chef die Firma schließt? Ich denke und fühl doch noch das Gleiche? Ich hab noch die selben Überzeugungen und Prinzipien? Warum steht mir plötzlich was im Weg? Warum hab ich plötzlich nicht mehr das Recht selbst frei über mein Leben zu bestimmen? Das tut weh.

Daher ist es wichtig, sich nicht durch die einfachen Antworten und Lösungen die Augen verkleben zu lassen. Auch nicht, wenn sie bequem sind und so schön logisch und praktisch und es uns so einfach machen. Dann erst recht nicht! Eigentlich kann man sagen, dass wir jeder einfachen Antwort per se erstmal misstrauen sollten. Denn das Leben als Mensch ist mehrdimensional und komplex und daher sind es auch die Probleme darin und die Antworten darauf. Das ist aber auch, was es so aufregend und besonders macht.

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