Und dann? Dann? Dann ist da immer noch diese Hoffnung…

Ok. Mein Opa ist tot. Klar, eigentlich hab ich wie jeder Mensch 2 Opas (stimmt das? Ich und Logik! Oder ist das Mathe? Wahrscheinlich keins von beiden, sondern nur gesunder Menschenverstand! Ja, das stimmt, jeder Mensch muss mindestens 2 Opas haben. Das ist, wie wenn man ein Wort, dass man schon hundertmal gedankenlos gesagt hat, plötzlich bewußt anschaut: Mit jeder Sekunde wird es komischer und wird man unsicherer, ob das Wort überhaupt so existiert), aber meinen einen Opa hab ich nicht gekannt und daher ist der andere Opa „mein Opa“.

Ok: Mein Opa ist schon tot. Als er noch am Leben war, hatten wir nicht immer gute Zeiten miteinander, dieser Mensch konnte mich bis zu Tränen zornig machen. Aber ich wusste, dass er mich sehr liebt. Prinzipiell war er nicht einfach – ein Mann mit bemerkenswerten Gaben und Handlungen und dann wieder so verblendet und traurig machend. Wie ich, war er oft ein Anachronismus. Jemand, der nach seiner inneren Uhr, Überzeugung und den eigenen Bedürfnissen lebt, statt dem Außen zu folgen. Ein Mann, der ein gut gehendes Geschäft hat und es aufgibt, um dann in den späten Siebzigern, in einer Zeit, in der niemand wusste, was das überhaupt ist, eine Ausbildung als Heilpraktiker zu machen und eine Praxis zu eröffnen, weil er das Gefühl hatte, das sei seine Gabe, seine Berufung. Man sollte meinen, so wie er da in sich rein hört, hört er auch sonst auf seine Gefühle. Fehlanzeige. An vielen anderen Stellen hatte er gruselige blinde Flecken.

Die Volkskrankheit Nummer 1, der Kreislauf, der Generationen lang Familien bestimmt und von innen heraus zerfrisst: Das, was die Kinder erfahren müssen, das, was ihnen fehlt, angetan wird, tragen sie weiter in die nächste Generation, potenzieren es und machen die gleichen oder noch schlimmere Fehler. Und so wird eine ganze Familie mit jeder neuen Generation immer weiter emotional verkrüppelt. Bis einer ausbricht und sich dem Erbe verweigert. Schaut man in Familien hinter die Fassaden, ist das eine Epidemie, eine Krankheit, die massive Konsequenzen auf unsere Gesellschaft hat. Zum Glück gibt es immer wieder Kinder, die den Kreislauf durchbrechen, in dem ihre Familie gefangen ist. Hoch sollen sie leben!


In meinem Wohnzimmer hab ich das Hochzeitsbild meiner Großeltern hängen. Und ab und an, wenn ich es abstaube, denke ich: „Jetzt versteht er mich sicher.“ Weil ich mir manchmal vorstelle, jetzt könnte mein Opa direkt in mein Herz und Hirn schauen. Und wäre gleichzeitig großherziger, verständnisvoller, weil er ja nu selber keinen Schmerz und Verlust, keine Angst und Scham mehr fühlt und deshalb andere so sehen und respektieren kann, wie sie sind. Leider kommt mir dann meine beschissene Ehrlichkeit ins Gehege (das hat auch was mit Altersstarrsinn zu tun, bei manchen – ok, nicht bei manchen: bei mir – scheint der schon sehr, sehr früh einzusetzen. Denn früher konnte ich einfach Blümchenunsinn (diese Art zu denken erinnert mich immer an Schlager und Heimatfilme) denken, heute kann ich das nicht mehr). Und ich denke: Nu, wenn mein Opa jetzt alles sehen kann, dann sieht er ja auch, wie ich auf Toilette gehe oder weiß, wenn ich was ganz gemeines denke. Und dann denke ich: „IIIIIH!!! Ich will nicht, dass mein Opa mir bei allem zuguckt!!! Haben denn die ganzen Leute, die von Geistern oder Seelen reden, diesen Haken denn nie bedacht???“


Ich hab dann versucht mir ein Szenario zu überlegen, in dem der Geist zwar schon irgendwie die Gedanken und Gefühle von jemanden „empfängt“, aber die Person nicht in echt sieht. Aber da bleibt es auch beim: „IIIIIH!!! Ich will nicht, dass mein Opa mir dabei zuhört, wie ich überlege, ob ich eine bestimmte Sorte Männerhintern bevorzuge (da hab ich tatsächlich neulich drüber nachgedacht, weil ich so’n Artikel über Hinternformen gelesen hab).“ Ich hab ja hier schon mal einen Beitrag über das Leben nach dem Tod geschrieben und bin dabei zu dem Schluß gekommen, dass ich nicht so recht daran glauben kann, weil ich denke, dass uns sonst schon lang einer Bescheid gesagt hätte, dass da noch was ist. Spätestens die Gauner hätten versucht uns einen „garantierten Platz im Jenseits, mit freiem Ausblick aufs Diesseits“ zu verchecken. Oder die Immerguten hätten ab und zu einer sehr verzweifelten Seele gesteckt, dass es noch weitergeht und daher nicht alles so schlimm ist.

Eigentlich ist es traurig: Dass ich denke, erst der Tod, also der Verlust – oder die Befreiung von – der eigenen Bürde und Geschichte, macht es möglich, dass mein Opa mir, und jedem anderen Menschen, nah genug kommen kann, um mich wahrzunehmen und zu akzeptieren, zu respektieren. Und vielleicht ist es auch traurig, dass ich mich dieser simplen Tröstung und Illusion der Beziehung mit geliebten Menschen über das Leben hinaus, nicht einfach hingeben kann, nur weil sie nicht viel Sinn ergibt? Momentan empfinde ich es allerdings nicht so, im Gegenteil, ich bin froh, dass ich mir nicht das Blaue vom Himmel herlüg. 

Aber das, was ich am traurigsten finde, wäre natürlich, wenn wir wirklich einfach aufhören würden zu existieren in dem Moment, in dem diese zerbrechliche Maschine, die wir Körper nennen, ihren letzten Atemzug getan hat. So eine unglaubliche, bodenlos traurig machende Verschwendung. So ein Verlust. Immer wieder. Und so kommt es, dass ich, obwohl ich nicht daran glauben kann, das es nach dem Tod weiter geht, trotzdem nicht aufgeben kann daran zu glauben. Ein kleines, winziges Eckchen in mir hält fest, lässt nicht los und denkt: Aber es kann nicht einfach vorbei sein. Das geht nicht.

Seit wir existieren, suchen wir Menschen ja immer wieder nach Metaphern, Bildern, Beschreibungen, die ausdrücken, was genau die Essenz des menschlich Sein ausmacht, was uns zum Beispiel von Tieren unterscheidet. Wir versuchen diesen Widerspruch in uns zu fassen zu kriegen, der macht, dass wir die wunderbarsten und die schrecklichsten Sachen tun können. Für mich ist dieser Satz, dieses Gefühl, die Essenz des menschlich Sein:

Und so kommt es, dass ich, obwohl ich nicht daran glauben kann, das es nach dem Tod weiter geht, trotzdem nicht aufgeben kann daran zu glauben.


3 Kommentare

  1. Marlene sagt:

    Das hast du schön geschrieben! Und ich finde, je älter man wird, desto öfter sieht man, das sich im Leben die Dinge wiederholen. Geburt, Kindheit, Erwachsenwerden, Elternwerden, Geburt, Kindheit, … Ich bin noch mittendrin. Aber man sieht, es wiederhiolt sich. Die Menschen erleben Dinge, machen ähnliche Erfahrungen. Die Kinder lernen schwimmen wie wir damals, sind stolz über dies, entdecken das, … man steht mittendrin, wird aber dabei immer älter. Und irgendwann? Wie sich der Tod anfühlt, wissen immer noch nur die, die ihn ausprobiert haben.

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    1. Nina sagt:

      Danke, das ist lieb! Ja, Du hast recht mit dem Wiederholen und tatsächlich finde ich, dass wir diese Wiederholung, dieses Weitergeben von Erfahrungen und Leben, viel mehr beachten sollten. Im positiven, wie auch im negativen. Uns einerseits an dieser Kontinuität erfreuen, weil sie ja auch Teil von Identität und gefühlter Heimat ist. Und andererseits uns viel bewußter sein in unseren Handlungen und Entscheidungen, weil sie eben nicht nur uns selbst beeinflußen. Zum Thema Sterben hab ich was komisches bemerkt. Als ich ganz ganz jung war, war ich ihm gegenüber verächtlich, die Idee, es könnte für mich irgendwann vorbei sein, hat mich nicht geängstigt. Ich dachte, ich schau dem Tod furchtlos ins Gesicht. Und je älter ich werd, desto realer wird das Wissen, dass es tatsächlich irgendwann vorbei ist und das kein Spiel ist und es für mich auch keine Ausnahme gibt. Heute macht es mir Angst irgendwann zu sterben. Und dann, und das find ich das interessanteste, hab ich an sehr alten Menschen öfters beobachtet, dass sie den Tod nicht mehr als Feind, sondern als eine Art Erlösung sehen. Sie sprechen viel öfter von ihm als früher, als sei er ihnen nähergekommen (was er ja tatsächlich real gemacht hat, aber ich meine emotional nähergekommen) und sagen Sachen wie „dann hab ich es auch geschafft“ und „jetzt hab ich auch lang genug gelebt“. Das Leben und der Tod bleiben ja immer die selben. Aber unser Blick, unser Verhältnis zu beiden verändert sich, während wir uns verändern. Aus irgendeinem Grund finde ich das tröstlich. Ich glaube, das ist so, weil es zumindest die Möglichkeit aufzeigt, dass man mit allem fertig werden kann und es „nur“ an uns liegt, das auch zu tun, wie schwer es auch immer sein mag. Es zeigt unsere unglaubliche Kraft und Fähigkeit uns an Gegebenheiten anzupassen. Das tröstet mich irgendwie, gerade in der heutigen Zeit.

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      1. Marlene sagt:

        Hallo Nina, das ist sehr tröstlich, dass sich die meisten irgendwann damit beschäftigen, dass sie sterben müssen und – wenn das Timing stimmt – dem ganzen auch ganz positiv entgegenblicken. Es hilft ja nichts. Ich glaube auch, das geht damit einher, dass die ganze Generation, der Freundeskreis auch sterben und man sieht den Lauf der Dinge und dass die Zeit trotzdem weitergeht, die neuen Generationen gerade ähnliche Lebensphasen durchlaufen usw. Da müssten wir vielleicht noch vielmehr auf die Alten hören, um das jetzt schon zu erkennen. Aber sehr tröstlich! Liebe Grüße, Marlene

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