Ok. Ich gebe es zu: Ich bin allergisch gegen Plattitüden. Wie ich bereits geschrieben habe, sind das für mich leere Wohlfühlhülsen. Als solches erfüllen sie natürlich einen Zweck und haben ihren Platz in unseren Leben. Das ist auch völlig in Ordnung. Wir alle brauchen ab und zu eine schützende Hand, müssen durchschnaufen.
Wo sich mir die jedoch Nackenhaare aufstellen und sich meine Nüstern blähen, ist, wenn wir praktisch nur noch in vorgestanzten Wohlfühlhülsen leben und gar nicht merken, dass das in real gar nichts mit uns zu tun hat. Wenn wir uns was vorgaukeln lassen, Plattitüden als Legitimation nutzen, als bequeme Ruhekissen und wir uns kein Stück vorwärtsbewegen – und es noch nicht mal merken.
Ehrlich, ich hab nix dagegen, mich ab und zu berieseln zu lassen. Aber dann isses auch wieder gut. Ein Beispiel: „Eine Beziehung ist nur gut, wenn es ab und zu mal kracht“ oder eine der unzähligen anderen Variationen, die es hierfür gibt. Bei allem Respekt und bei aller Freundschaft: Für mich ist das einfach nur Quatsch. Leeres Wohlfühlgebrabbel, das uns ablenkt von den Sorgen, die wir intern haben, weil wir in einer Partner- oder Freundschaft immer wieder den gleichen Kampf austragen, uns immer wieder die gleichen Verletzungen zufügen. Oder von dem nagendenen, heimlichen Zweifel: Brauchen wie Streit, um überhaupt noch gemeinsam was fühlen zu können? Ist unser Leben so leer und langweilig, dass der Streit uns davon abhält uns zu trennen? Wir legitimieren unseren Stillstand und die Abwärtsspirale, in der sich unsere Liebe befindet mit einem Allgemeinplatz. „Ist ja normal, ist bei jedem so.“ Nein. Ist es nicht.
Was für mich akzeptabel wäre, wäre zu sagen: „Eine Beziehung wackelt nicht, nur weil es mal kracht.“ Das ist was reales. Das lässt den Weg offen für: „Aber lass uns sprechen und irgendwie rausfinden, warum wir uns wehtun wollen/müssen.“ Es liegen Welten zwischen diesen zwei Sichtweisen, obwohl sie oberflächlich betrachtet vielleicht eine entfernte Ähnlichkeit haben.
Warum regen mich diese platten Tüden so auf? Weil sie uns tatsächlich zu Schafen machen. Wir laufen brav mit der Herde mit, einfach weil vorne irgendwo einer vorausläuft und sagt: Hier geht’s lang. Ich möchte jeden einzelnen der Herde packen und schütteln und schreien: „Leute, wacht auf. Lasst Euch doch nicht so einlullen, gebt Euch doch nicht damit zufrieden. Spürt das Leben. Leben ist nicht immer sonnig und wohlplatziert und abgerundet, wie es in der Werbung und in Serien ist. Leben ist garstig. Raue See. Manchmal tut es weh. Manchmal muss es weh tun. Manchmal geht es schief. Und machmal bekommen wir keine Antwort auf unsere Frage. Aber Leben ist real und akut und aufregend. Es überwältigt Dich und macht Dich wehrlos, treibt Dich vorwärts, schmilzt Dein Herz zu einem grauen, klebrigen Klumpen und lässt es in der nächsten Sekunde hell erstrahlen.“
Und nicht, dass Ihr mich falsch versteht: Ich fall genauso auf die leeren Wohlfühlhülsen rein und mach es mir darin gemütlich. Absolut. Und immer wieder. Das ist normal. Aber ich habe das Glück, dass nach einer gewissen Zeit irgendwas in mir rebelliert. Etwas ursprüngliches. Etwas, das genau fühlt, dass was nicht stimmt, nicht echt ist. Wie ein Tier, das aus dem Schlaf schreckt, weil es erahnt, dass Gefahr droht. Und ich bin so dankbar für dieses etwas.
Ich fühle mich oft, als wäre ich grad nochmal davongekommen.
P.S. Ja, bin schon wieder auf meine Seifenkiste gestiegen. ‚Tschuldigung, kann es nicht lassen. Müssen wir mit leben.