Herz zu verschenken
Hab ein Herz zu verschenken
Fehldruck, dadurch einzigartiger Sammlerwert
Gebrauchsspuren vorhanden
Voraussetzungen zur Nutzung:
Humor, Intelligenz, Stärke, Ehrlichkeit, Verlässlichkeit
So oder ähnlich hört es sich wahrscheinlich bei Millionen Menschen an, wenn sie sich und ihre Bedürfnisse beschreiben. Das ist sozusagen die Grundausstattung: Ehrlichkeit, Verlässlichkeit, Humor, Intelligenz usw.. Ohne das geht’s heute nicht mehr. Da denkt man doch: Mensch! All die armen unehrlichen, unverlässlichen, unlustigen Dummlinge. Die kriegen sicher nie jemand ab… oh, warte, irgendwas stimmt da nicht. Ich seh diese Sorte tagtäglich um mich herum hüpfen und die haben alle einen anderen unehrlichen, unverlässlichen Dummling gefunden (ups).Wie kommt es, dass praktisch jeder was will, was praktisch niemand ist?
Gib mir die Welt
Eine beliebte These ist ja die, dass die Menschen heute zu hohe „Ansprüche“ haben. Ansprüche – ein ätzendes Wort. Ich bin mir sicher, wenn Du eine Madame aus dem 16. Jahrhundert gefragt hättest: „Willst Du einen ehrlichen Mann?“, dann hätte sie nicht gesagt: „Nee Du, unehrlich tut’s auch!“ Es sind nicht zu hohe oder höhere Ansprüche, die die Menschen heute haben, sondern einfach andere. Und andere Voraussetzungen: Früher konnten Frauen kein eigenes Einkommen verdienen, hatten meist also letztendlich nur zwei Überlebenschancen: Heiraten oder eine Familie haben, die sie unverheiratet ernähren kann. Früher hat die Welt aus ein paar Kilometern oder ein paar hundert Kilometern bestanden, heute ist sie nahezu grenzenlos. Dadurch ist der Pool, aus dem gewählt werden kann, natürlich viel größer. Und wie immer gilt auch hier das Angebot/Nachfrage-Prinzip. Wenn Du mehr Auswahl hast, nimmst Du Dir natürlich die saftigsten Früchte und nicht die bereits angedatschten. Und wenn Du weisst, morgen gibt’s neue, frische Früchte, dann wartest Du eben auch mal ein paar Tage, bis die frische Ware eintrifft.
Wenn Du um’s Leben kämpfen musst, hast Du keine Zeit groß zu philosophieren, „Dich zu spüren“ oder gemeinsam was zu unternehmen. Da brauchst Du jemanden, der stark ist, der kämpfen will oder kann, jemand, der sich nicht herumschubsen lässt. Jemand der geschickt ist. Heute wissen wir, dass wir, wenn nix unvorhergesehenes passiert, überleben. Daher müssen wir nun die ganze ermüdende Leere füllen, die der fehlende Überlebenskampf hinterlassen hat. Und plötzlich sitzen wir uns mit dieser ganzen leeren Zeit schweigend gegenüber und fragen uns: „Mensch, ob der Karl-Heinz nicht vielleicht lustiger ist als der Karl-Dieter? Oder vielleicht macht der Karl-Ernst, dass ich mich endlich wieder lebendig fühle?“ Oder so ähnlich.
Kurzum: Ich glaube nicht daran, dass wir heutzutage höhere oder mehr Ansprüche an einen möglichen Partner haben. Heute sind einfach nur andere Sachen gefragt und die Auswahl ist so viel größer.
Aber zurück dazu, dass wir Menschen immer die gleichen Sehnsüchte zu haben scheinen, die aber, wenn man sich mal umschaut, eigentlich nie erfüllt werden? Das ist doch irgendwie bescheuert. Als wären wir nie in der Lage tatsächlich aus unseren Erfahrungen zu lernen. Nix traurigeres als Menschen zu sehen, die zusammen sind, nur um nicht alleine zu sein. Und die dabei nicht sehen, dass sie zwar zusammen, aber doch einsam sind. Anscheinend ist für die meisten Menschen die innere Einsamkeit besser zu ertragen, als die äußere.
Gib mir nur Dich
Nun, bei mir ist es genau andersherum. Innere Einsamkeit mit jemand anderem tötet mich. Das ist nicht nur so dahingesagt. Ich fühle mich wirklich als würde ich lebendig begraben. Kann nicht mehr atmen, als würde ich gegen meinen Willen festgehalten. Wenn ich dieses Gefühl hab, würde ich praktisch alles tun, um dem zu entkommen. Alle Brücken niederbrennen, alle Wände herunterreißen. Dieses schreckliche, taube, blinde Gefühl nicht gesehen zu werden, nicht wahrgenommen zu werden. Vor jemandem zu stehen, der von mir erwartet, dass ich jemand anderer bin. Der mich anders haben will. Der mich nicht lieben kann, wenn ich nicht anders bin. Das ist für mich das gleiche wie tot sein. Nicht zu existieren.
Für mich ist daher äußere Einsamkeit viel leichter zu ertragen. Ich glaube, das liegt daran, weil mir nie langweilig ist. Weil ich immer erfüllt bin. Weil ich mich immer selbst unterhalten kann, immer über irgendwas nachdenke, was male, was mache. In der Regel bin ich eigentlich immer glücklich (was jedoch was ganz anderes ist als zufrieden oder nicht unglücklich zu sein). Somit muss jeder, der da dazu kommt, mir mehr zu bieten haben, als ich mir selbst bieten kann. Das klingt total bescheuert, kann es aber nu mal nicht ändern. Das ist, was ich fühle.
Im Denken und Fühlen mag ich es zu riskieren. Dahin zu gehen, wo ich mich nicht mehr wohl oder sicher fühle, wo ich gefordert werde. Das befriedigt mich. Und manchmal passieren dann kleine Wunder. Türen, Ideen, Erkenntnisse öffnen sich, von denen ich vorher nicht einmal wusste, dass sie da sind. Das ist schön und schrecklich zugleich. Schön, weil mein Geist, meine Seele und mein Herz immer hungrig sind, immer wachsen wollen. Schrecklich, weil es mich entfernt von der Welt, die emsig ihren Geschäften nachgeht, während ich da sitze und überlege, ob die Zeit vielleicht tatsächlich langsamer wird, wenn wir auf etwas warten.Inzwischen hab ich so viel Dinge für mich anders definiert, als die Welt sie gemeinhin definiert, inzwischen glaube ich an so viel Dinge nicht mehr, dass die Distanz zwischen mir und der Welt immer größer wird. Manchmal ist es, als spreche ich noch nicht mal mehr die gleiche Sprache. Wir nutzen zwar die gleichen Worte, doch für mich haben sie eine andere Bedeutung. Das merke ich nicht so im normalen Alltagsleben. Vor allem, weil ich einfach so gern Spaß hab, Witze mache und lustig bin. Ich liebe es zu lachen und die Hälfte der Zeit, die ich mit anderen verbringe wird verlacht und veralbert. Weil die Welt auch einfach so albern ist. Aber ich merke es dann, wenn es um engere Beziehungen geht.
Dabei ist es eigentlich ganz simpel und logisch:
Wenn wir uns uns Menschen als Schrauben und Windungen (oder wie das heißt) vorstellen, dann passen die gängigen Schraubenmodelle auf ganz viele Windungen. Für weniger gängige Modelle muss man schon etwas länger nach einer passenden Windung suchen. Und für die Unikate, ist es Glückssache, wenn man überhaupt das passende Gegenstück findet. Das ist keine Bewertung, nur eine Feststellung.
Ich hab solchen Appetit auf was echtes, darauf einen anderen Geist zu erforschen, vorsichtig zu vertrauen, obwohl mir mein Herz bis zum Hals klopft. Einige Zeit wollte ich nur alleine sein, um wieder schützende Haut aufzubauen, die ich im Laufe meines Lebens in den ganzen Kriegen und Schlachten verloren hatte. Aber jetzt bin ich wieder durstig und hungrig nach Leben. Nach Fühlen, nach Erforschen. Weil ein Risiko einzugehen mich bereichert. Mich reicher macht.
Ich will jemandem, mit dem ich mehr werden kann, als ich es alleine könnte
Ich hungere danach mit einem anderen Herz vertraut zu werden. Zu sehen, wie wir uns gegenseitig verändern, wie sich neue Landschaften bilden, wie alte, verkrustete Ängste sich in Nichts auflösen, während mit jedem Tritt der Schritt fester und sicherer wird und man weiß, wo die Gräben verlaufen und die Grenzen stationiert sind. Ich hab solche Sehnsucht nach Nähe ohne Zweifel, nach Zärtlich- und Sorgsamkeit ohne Angst. Will eine Liebe, in der es kein Rechenblatt gibt, wer wem wie viel schuldet. Aber das ist nicht so einfach. Das, was die meisten Menschen wollen, denken, fühlen, glauben, ist einfach nicht mehr genug für mich.
An manchen Tagen find ich das schön, an manchen Tagen hasse ich es und an manchen Tagen bricht es mir das Herz
Meta
P.S.
Das zu schreiben war sehr emotional für mich. Getriggert wurde es von einer meiner ältesten Platten „Flesh of my Flesh, Blood of my Blood“ von DMX (hab gleichzeitig auch was über das Album, das Cover und den Cover-Photographen geschrieben. Das heißt Ihr müsst im nächsten Beitrag schon wieder Rap über Euch ergehen lassen. Sorry!). Nun sind diese Gedanken oder Erkenntnisse mir nicht neu. Im Gegenteil. Ich hab auch schon ab und zu in Ansätzen darüber geschrieben. Aber ich war bisher nicht bereit weit genug zu gehen.
Ich geb mir ja gerne eine Blöße, ich liebe es verwundbar zu sein, liebe es, wenn es um was geht, wenn es zählt. Ich mag es die Sachen, die man sonst nie sagt, sondern höchstens denkt, hervorzukramen und einfach auf den Tisch zu stellen, so dass sie nicht mehr übersehen werden können. Aber manchmal ist es einfach zu doll, zu schmerzhaft, zu viel, zu beschämend oder zu nah. Das ist oft von außen schwer zu verstehen, denn Dinge, die für uns selbst hochdramatisch sind, schauen für andere total unintensiv aus. Aber wie so oft hat Musik mich bewegt, mich geöffnet, gestärkt. Hat das, was ein anderer Mensch mir über sein Leben, seine Innen-und Außenwelt mitteilt, eine Tür bei mir geöffnet, durch die ich, wenn auch unter Tränen, gehen konnte.
Und das ist ja letztendlich der Grund, warum wir alle überhaupt kreativ werden und sind: Um uns auszudrücken. Uns mitzuteilen, um uns zu verbinden mit anderen. Um mitzufühlen und gefühlt zu werden. Und vielleicht fühlt sich jemand, der diesen Beitrag liest, ähnlich wie ich. Fühlt sich auch manchmal, als würde er/sie immer einen Schritt neben der Welt und den Menschen hergehen, statt im Einklang mit ihnen zu sein. Außen vor.
Dieser Text heißt „Kennt Ihr das?“ genau aus diesem Grund: Ich zeig ein Stück von mir, damit Ihr eventuell ein Stück von Euch seht. Und das wäre meine Tränen allemal wert. Das wäre schön. So, genug mit dem emotionalen Kram jetzt!
Wow, echt super geschrieben! Sowas müssten Menschen mal in ihre Kontaktanzeigen schreiben 😀 Also den ganzen Text, nicht nur die Beschreibung des Herzens am Anfang. Die erinnert mich nicht an mich, doch an meine Frau. Ein wenig an ihre Sicht ihrerselbst.
Ob ich über das Umgangssprachliche, das sie als einen Teil von mir beschreibt, hinaus etwas von mir in deinem Text sehe… Weiß ich gerade nicht zu beantworten. Viel zu sehr schmerzt mir noch das Fehlen des vertrauten Haltes neben mir, so kurz nach der Trennung von ihr.
Es freut mich, dass du den besonderen „Sammlerwert“ an deinem Herzen hervorhebst. Im Chinesischen wird recht scharf getrennt zwischen Dingen aus menschlicher, heute meist industrieller Produktion und Schöpfungen aus der Natur. Ich finde, sowas wie einen „Fehldruck“ gibt es nur in ersterer Kategorie. Wir Lebeweisen aus der Natur sind nie fehlerhaft, sondern in jeder individuellen Ausformung perfekt gelungen. Die eine Person eignet sich eher für das eine, der andere Mensch eher für etwas anderes. Es gibt kein Muster dafür, was gelungen ist.
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Danke!!! Zwei Sachen finde ich total interessant: Dass Du sagst, der ganze Text sollte in einer Anzeige stehen. Das hat mir ganz viel neue Fragen beschert, was ich klasse finde. Z.B.:Warum versuchen Menschen in Annoncen was zu schreiben, was viele lesen/verstehen, anstatt tatsächlich das zu schreiben, was sie meinen/sagen wollen, was dann vielleicht 99% ätzend finden, aber 1 Person total klasse. Denn die Leute suchen ja auch nur 1 Person. Warum dann so schreiben, dass es allgemeingültig ist? Ich kann das grad noch nicht so gut erklären, was ich meine, aber finde das eine ganz faszinierende Frage. Muss da noch mehr drüber nachdenken. Das zweite interessante ist, dass Du den Text so verstanden hast, dass ich die „Partnerschaftsanzeige“ auf mich bezieh und mich damit beschreibe. Auf einer bestimmten Ebene stimmt das, weil das natürlich Sachen sind, die auf mich auch zutreffen. Aber eigentlich bin ich eher distanziert davon. Ich erklär es am Beispiel Ehrlichkeit: Jeder will Ehrlichkeit, aber für viele heißt Ehrlichkeit nichts anderes als Treue und Verlässlichkeit. Die meisten wollen viel lieber belogen werden (nennen das dann aber auch noch „Ehrlichkeit“) von ihrem Partner. So eine Art gnadenvolles Lügen:Ich sag Dir nicht, dass mir langweilig ist mit Dir, „um Dir nicht weh zu tun“. Die Ehrlichkeit, die ich meine, in allen Beziehungen, nicht nur Partnerschaft, hat nix mit Treue oder so zu tun. Sondern damit, dass man eine Ebene hat, wo man Verständnis und Akzeptanz füreinander hat, selbst wenn es weh tut oder unangenehm ist. Dass man Menschen losgelöst von einem selbst sieht und liebt. Das tun die wenigsten. Der Teil des Textes, der mich betrifft, beginnt eigentlich erst ab der Überschrift „Gib mir nur Dich“. Ich find das ganz spannend, dass das von außen nicht so deutlich wurde. Danke!
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So trennscharf habe ich es beim (ersten) Lesen in der Tat nicht betrachtet. Auch ab „Gib mir nur dich“ liest sich dein Beitrag super!
Ich glaube, so viel anders wirkt es von außen auch nicht. Der Abschnitt da drüber kommt bei mir auch eher als eine Art Exkurs rüber und der am Anfang als Einleitung über den Aufhänger „Herz zu verschenken“ mit den typischen gewünschten Eigenschaften. Dass die Worte für jeden etwas anderes bedeuten, sollte bewusst sein. Ich finde es immer wichtig, zu Beginn einer Beziehung darüber zu sprechen, was Beziehung für beide bedeutet und mit ihr auch über Dinge wie Vertrauen oder Ehrlichkeit zu sprechen. Dass Wahrheiten manchmal wehtun, ist nun mal so. Doch nur so ist es echt und man kann sich wirklich dafür entscheiden, eine Verbindung aufrecht zu erhalten oder es sein zu lassen. Ich kriegs auch gerade nicht auf die Reihe, es besser zu schreiben.
Und…, bist du wirklich distantiert davon oder hast du „lediglich“ ein anderes Verständnis von den als Eigenschaften aufgeführten Begrifflichkeiten?
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Ich glaub es ist eine Mischung von beidem: Distanz und andere Bedeutung. Klar will ich nicht gern mit jemand befreundet oder zusammen sein, der lügt. Es würde aber auch kein Ausschlusskriterium sein, weil ich die Begrifflichkeit und Emotionen von Ehrlichkeit heute anders für mich definiere. Jemand kann sehr wohl ehrlich sein, wenn er lügt. Das heisst nicht, dass ich das will oder dass Ehrlichkeit keine Rolle spielt, aber ich seh einfach nicht mehr diese enge, akute Bindung zwischen Aktion und Bedeutung. Irgendwie hab ich da inzwischen noch eine Ebene mehr eingebaut. Das beinhaltet auch einfach nicht so nachtragend zu sein. Die meisten Menschen schleppen ellenlange Rechnungen mit sich rum von wem sich wann wie verhalten hat. Ich seh das alles nicht mehr so eng. Weil es ja nichts gutes bringt, warum dann nicht einfach mal innehalten, das Herz weit machen und es loslassen? Ich glaube einfach nicht mehr so doll an schwarz/weiß und habe beobachtet, dass Erwartungen, die nicht erfüllt werden können nur Schmerz und Zorn bringen. Warum dann also immer an ihnen festhalten? Das ist nicht so einfach mit dem loslassen, aber letztendlich denke ich, ist es das einzige was hilft. Bin erst die letzten Jahre nach und nach zu dieser neuen Ebene gekommen, mag sie aber sehr und muss mal schauen, wie sich das entwickelt.
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