Alles wackelt, wenn ich verliere

Heute geht es um Niederlagen. Das ist ein Thema, das relativ heikel für mich ist. Ein Thema, bei dem ich mich nicht so verhalten und fühlen kann, wie ich es gern hätte. Wie so oft ist der Sport ein Spiegel unseres normalen, realen Leben, in dem wir andere betrachten können, um mehr über uns selbst zu erfahren. Im Radsport, meinem Sportbeispiel, geht es in diesem Fall um eine Art von Verlieren, die zugleich herb bitter ist, als auch zart lieblich.

Antreten, um zu verlieren

Was mich mit am meisten am Radsport fasziniert, ist, dass die große Mehrheit der Fahrer nie was gewinnen wird und das auch ganz genau weiß. Ich versuche das zu verstehen. Zu verstehen, wie man so ein Leben aushält. Im Fußball ist das etwas binärer – du hast nur 2 Mannschaften, irgendwann in der Saison wirst du gewinnen oder deine Mannschaft wird zumindest ein Tor schießen und du wirst in jedem Spiel ein paar Mal den Ball haben.

Ein Radprofi kann in einer zehnjährigen Karriere jährlich 60 Rennen oder mehr fahren und nie gewinnen. Ein Fahrer kann x Rennen nacheinander fahren ohne auch nur irgendwas zu bewirken. 

Das nachzuvollziehen, nach zu fühlen, ist nahezu unmöglich. Das ist viel zu krass, um das verstehen zu können. Die Gewinner sind im Sport weit, weit in der Unterzahl. Und trotzdem dominieren sie alles.

In unseren normalen, realen Leben mögen wir nicht täglich gewinnen oder explizit Erfolg haben, aber – wir verlieren auch nicht jeden Tag.img_1832 Das ist ein riesiger Unterschied. Viele Radsportler treten ihre ganze Karriere lang in jedem Rennen an, um zu verlieren und wissen das auch. Wenn Du Glück hast, bist Du zumindest nützlich. Wenn es mies läuft, noch nicht mal das. Welchen Wert hat das alles dann? Welchen Wert hast du dann? Ich kann mir nicht vorstellen, wie man mit diesen täglichen Niederlagen gut und gesund umgehen kann.

Vielleicht kann man das auch einfach nicht. Wahrscheinlich ist das mit einer der Gründe, warum der Radsport oft so schizophren ist, so kalt und abgezockt, so egoistisch und häßlich. Weil die ganze Erfahrung so extrem ist und kein Hahn den Verlierern nachkräht. Am Ende einer Radsportkarriere ist man wahrscheinlich emotional halbtot. Oder halblebendig.

Ich finde es zum Kotzen, dass sich da niemand Gedanken drüber macht. Profisportler werden vom System ausgespuckt, wenn es sie nicht mehr brauchen kann und dann sind sie – wahrscheinlich das erste Mal überhaupt – plötzlich auf sich allein gestellt und sollen in einer wohltemperierten Welt funktionieren, als wären sie ganz normale Menschen. Das kann nicht funktionieren. Und wenn Du nicht gerade Tennis oder Fußball auf höchstem Niveau gespielt hast, hast Du genug damit zu tun finanziell über die Runden zu kommen und kannst Dich nicht um Dein Seelenleben kümmern.

Verdrängung ist nur eine Illusion

Ich denke es hilft, dass die Fahrer immer im Rudel unterwegs sind. Das Fahrerfeld bietet Schutz. Du kriegst nicht als einziger auf die Mütze, also bist du auch nicht so schlecht oder zumindest nicht ganz allein in deinem Versagen. Das ist ihnen ein Trost. Trotzdem – gibt man da die Hoffnung nicht auf? Letztendlich wird man von der Außenwelt täglich daran gemessen, ob man gewinnt oder verliert. Das ist hart. Muss man da nicht zwangsläufig das Träumen aufgeben? Ich denke, dass man ohne Hoffnung nicht überleben kann. Und ich meine das nicht philosophisch, ich meine das ganz ernst. Ich denke, wenn jemand die Hoffnung aufgibt, wird er sterben. Irgendeine Krankheit oder ein Unfall wird ihn ereilen. Also besser, man verdrängt die Emotionen um das Verlieren. Aber Verdrängung ist nur eine Illusion, im verborgenen gärt und brodelt es weiter.

Beschämende Wahrheit

Verlieren ist was, was ich nicht gut kann. Das merkt niemand. Das ist ein Geheimnis.

Aber ich weiß es.

Ich hasse, dass ich nicht gut verlieren kann. Aus tiefster Seele. Ich schäme mich, dass ich in den ersten Momenten des Verlierens wackle. Das ist wie eine erneute Niederlage neben dem eigentliche  Verlieren.

Es ist, als wäre ich plötzlich nicht mehr ich

Ich hasse, dass ich Verlieren nicht wie ein großherziger Mensch sportlich wegstecken kann. Dass Verlieren mich in Frage stellt. Mir mangelt es beileibe nicht an Selbstliebe und Selbstbewusstsein und in der Regel kann ich mich und meine Fähigkeiten ganz gut ein und schätzen. Also sollte ich doch wohl problemlos in der Lage sein über sowas beschissenem wie Verlieren stehen zu können?! Aber ich bin es nicht. Ich bin es einfach nicht. Es ist dann, als wäre ich nicht mehr ich, sondern eine andere Version von mir. Eine Kinderversion. Oder eine schlechte Version.

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Und das sogar vollkommen unabhängig davon, ob es überhaupt um etwas geht, was mir wichtig ist. Selbst wenn es um gar nix geht, fühle ich mich bloßgestellt und irgendwie erniedrigt, wenn ich verliere. Wie bescheuert ist das denn? Das macht mich wahnsinnig, weil es so sinnlos ist. Ich verstehe nicht, warum ich in diesen Momenten plötzlich in einen Konkurrenzkampf verfalle, den ich sonst überhaupt nicht lebe oder fühle? Und mit jedem neuen Versagen, jedesmal, wenn ich wieder ein schlechter Verlierer bin, wird der Rucksack des Ganzen schwerer. Fühl ich mich noch schlechter.

Alles wackelt, wenn ich verliere

In den ersten Sekunden und Minuten der Niederlage fühle ich mich erstmal immens verunsichert. Alles, was ich bin, kann, habe, ist weg und ich fühle mich unzulänglich. Bloßgestellt. Unwert. Jeder ist besser als ich. Und so, als ein Verlierer und dazu noch als ein schlechter Mensch, weil ich so beschissen kleinherzig und eifersüchtig bin auf alles und jeden, kann mich ganz bestimmt niemand mögen oder lieben. Das ganze Fundament meines Daseins bricht von einem zum anderen Moment ein. Und plötzlich ist meine ganze Existenz in Frage gestellt. Alles wackelt und ich drohe einzustürzen.

Das kriegt niemand mit, denn es dauert meist nur ein paar Sekunden, wenige Minuten. Ich lächele nach außen und versuche innerlich so großherzig zu sein, wie ich es von außen erscheine. Während ich im geheimen fieberhaft nach Gründen suche, die mein Versagen weg erklären. Das finde ich genauso schlimm. Dass ich nicht einfach akzeptieren kann, dass jemand besser ist als ich, sondern es wegdenken muss. Ich muss doch nicht in allem unangreifbar und unantastbar sein!? Am schlimmsten ist es, wenn jemand was besser kann als ich, den ich eigentlich nicht respektiere. Niederschmetternd.

Ich will mich, wie andere es können, von ganzem Herzen für andere freuen können, will nicht, dass in meiner Gefühlswelt ihr Können meines bedroht. Weil das ja auch nicht so ist. Und außerhalb dieser bangen, initialen Sekunden fühle ich das auch nicht so. Ich will, dass ich anderen alles gönnen kann, ohne, dass es mich verletzt und verunsichert. Aber ich schaffe es nicht. Und ich hasse das. Ich will nicht so kleinherzig und getroffen sein. Ich schäme mich dafür.

Dabei ist es selbst in diesen paar Momenten nicht so, dass ich anderen was neide. Es geht nicht um die anderen, es geht mehr um mich. Ich brauch auch nicht, dass jemand anderer verliert – solange ich gewinne. Das zumindest ist mir ein halber Trost. Ich fände es noch unerträglicher, wenn ich andere aktiv kleinmachen müsste, um mein Selbst zu schützen, auch wenn es nur um ein paar initiale Sekunden geht.

Bin ich ein schlechter Mensch deshalb? Wahrscheinlich nicht. Warum fühl ich mich dann aber so?

1 Kommentar

  1. Den Beitrag hatte ich vor 2 Monaten schon veröffentlicht. Es ist für mich persönlich ein schwieriges Thema und vielleicht deshalb war er nicht sonderlich gut. Ich hab ihn etwas umgeschrieben und nochmal in seinem neuen Gewand veröffentlicht.

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