Ich, die Ameisenwelt – ein kleines Erlebnis in einer kleinen Welt

Ok. Das folgende hab ich vor ein paar Tagen ursprünglich in Englisch geschrieben und übersetze es jetzt für Euch ins Deutsche. Die englische Version hab ich als Anhängsel hinten angehängt.

Ich, die Welt der Ameise

Das Gras duckt sich und raschelt unter dem Gewicht meines Fußes. Als ich mich bewege, ist es wieder frei. Sofort macht es sich an die Arbeit in seine ursprüngliche Form zurück zu fließen. Atom für Atom, Molekül für Molekül. Von außen scheint es, als wäre nie was passiert, in Wahrheit hat jedoch die Berührung mit meinem Fuß alles verändert. Für immer.

Eine Ameise läuft über mein Bein, für sie muss es eine Weltreise sein. Ich bin ein Gigant in ihrer Welt. Ich bin ihre Welt. Also halt ich schön still, wie wir Welten es eben tun, um die Ameise auf ihrer Reise nicht zu stören. Ich fühle die Verantwortung so als Welt. Sie macht mich ungeduldig, wirbelt mich herum, zieht mich hinab und erhebt, erhöht mich zugleich. Plötzlich stoppt die Ameise, als hätte die Turbulenz meiner Gefühle sie zum Stillstand gebracht. Als wäre sie gefangen in meiner Widersprüchlichkeit wie eine Fliege im Spinnennetz. Ich sehe, wie ihre winzigen Füßchen eins nach dem anderen den Halt verlieren. Sie werden durch eine unsichtbare Kraft von meiner Haut losgelöst. Wie von einem riesigen Ventilator weggepustet, verliert die Ameise nun ihren Halt. Für einen Moment verfange ich mich in der Idee, dass die Ameise tatsächlich durch meine Gefühle und Gedanken bewegt wird. Gefangen in einem empathischen Pas de Deux bewegen wir uns gemeinsam durch die Welt. Ich denkend, fühlend, sie davon dirigiert. Dann sehe ich, dass ich die Ameise in meiner Hand halte.

Ich halte ihr Leben in meiner Hand. Die Macht. Die grausame Macht der Möglichkeit.

Ich überlege, ob sie das weiß? Wird sie nun hektisch, schlägt ihr kleines Herzchen schneller? Ich kann mir gar nicht vorstellen, dass Ameisen ein Herz haben, müssen sie ja aber, oder? Betet die Ameise nun zu ihrem Ameisengott? Fleht sie mich in Ameisensprache an, dass ich sie leben lasse? Ist sie panisch, weil sie noch nicht alle Pflichten erfüllt hat, die sie in ihrem Leben erfüllen kann? Und weil sie leben will? L E B E N. Oder weiß sie, dass sie nur eine Ameise ist? Dass ihr Leben, im großen Ganzen nicht zählt? Dass kein Mensch einen Gedanken daran verschwendet, ob er mit nur einem Schritt, einer Bewegung der Hand ein Dutzend ihres Volkes tötet? Wahrscheinlich nicht. Wir denken schließlich auch, dass wir wichtig sind.

Nun, da ich ihre Welt war und ihr Leben in meiner Hand halte, habe ich Verantwortung für die Ameise übernommen. Der Gedanke sie zurück ins Gras zu setzen, nur damit sie vom nächsten Fuß, der höchstwahrscheinlich mein eigener sein wird, zerdatscht wird, reißt mein Herz in Stücke. Sie ist schon lange keine Ameise mehr. Sie ist jemand geworden. Ich male mir aus sie mit mir zu nehmen. Heim. Ein Glas, bissle Gras und Erde, das ist doch ausreichend. Sie wird sicherlich denken, das sei nun ihre Welt und wird so nicht nur sicher, sondern auch glücklich sein. Aber das kann ich nicht machen. Oder? Wie soll sie glücklich werden, so ganz ohne Aufgabe? Ohne einen festen Platz in dieser Welt, ohne irgendwo dazu zu gehören? Aber vielleicht können wir Freunde werden und ich trage sie mit mir herum! So wie ich es mir als Kind vorgestellt hab:In meiner Tasche, in einer Streichholzschachtel mit einem kleinen Bett, kleinen Tisch, kleinen Bücherregal. Wir lernen uns zu unterhalten und erleben wundervolle, aufregende Abenteuer zusammen. Oh, und sie braucht einen Namen!

Ich stehe langsam auf, während ich überlege welcher Name wohl ihr Name… und oh nein!!! Die Ameise ist weg! Und ich hab bereits zwei ganze Schritte gemacht! Fieberhaft suche ich nach meiner Ameise. Ich bin mir sicher, ich erkenne sie wieder, wenn ich sie sehe. Irgendwie werde ich wissen, dass sie es ist. Ganz sicher. Aber ich finde nicht eine einzige kleine Ameise. Klar, auch keine Ameisenleiche, aber das macht es nicht besser. Ich verfluche mich, dass ich nicht besser auf meine Ameise aufgepasst hab! Ob die Erde sich auch so fühlt, wenn ein Erdrutsch oder Tsunami ihre Menschen tötet? Ist sie traurig, macht sie sich Vorwürfe, dass sie nicht besser auf ihre Ameisen aufpassen konnte?

Ich bin kurz davor zu heulen. Ich wünschte, ich hätte Frau Ameise nie getroffen! Wenn ich sie nicht kennengelernt hätte, hätte ich sie nicht verlieren können. Ich kann nun nichts mehr tun. Ich gebe auf, lass es los. Nicht wissend, ob ich der Mörder von Frau Ameise bin oder ob sie irgendwo liegt, mit einem gebrochenen Bein, flehend, wartend, nach mir rufend. Damit ich komme und sie rette, sie von ihrem Schmerz weghole und an einen sicheren Ort bringe. Ich hasse, dass das passiert ist. Es ist ein weiteres Gewicht auf meinen Schultern. Ich habe versagt. Habe wahrscheinlich ein Mitleben verletzt oder getötet. Ich hasse mich.

Englische Version:

Grass is crumbling under my feet. When I move, it is freed again, begins to flow back into it’s earlier form, yet changed, transfomred by the step of my foot. An ant walks over my leg, which must feel to her, like she makes a walk around the world. I am a giant in their world. I am their world. I don’t move, so to not disturb the journey of the ant. I feel my responsibility as the world of this ant and it is making me heavy,impatient,caring and detached at the same time. Suddenly she stops. As if brought to a halt by the turbulence of my feelings. I see her tiny feet getting lifted from my skin, one after the other, as if blown away by a giant invisible fan, she loses her grip. For a moment I let myself get puzzled by the thought, that the ant really is influenced by my emotions. I imagine a strange empathic pas de deux between us. Then I realise that I hold the ant in my hand.

I hold her life in my hand.

I wonder, if she knows it? Is she getting hectic, does her heart beat faster? Is she praying to the ant god? Does she try to plead with me in ant language to let her live, because without her the queen loses a good worker and she has so many duties left to fulfill. And she wants to live. Or does she know that she is only an ant? That her life, her being on this planet or not, doesn’t matter much in the big picture? Probably not. After all, we think too, that we matter.

Now that I was her world and hold her life in my hand, I have taken responsibility for the ant. The thought to set her back into the grass, just to be crushed by the next foot, which probably will be mine, is shredding my heart into pieces. She long ceased to be an ant and has become someone. Something. I think about taking her with me. Home. A glass, a bit of earth and grass, surely she will think that is her world and will be not only safe, but also happy. But I can’t do that. She surely would be unhappy without other ants without a task, a place in life, something she can do? But maybe we can become friends and I carry her around, like I thought as a kid: In my pocket, in a tiny matchbox with a bed, a table and a bookshelf and we will learn to communicate and will go on wonderful, exciting adventures together. Oh, but she needs a name.

I get up, thinking, which name would be hers and Oh no! The ant is gone and by now I made already two steps. Feverishly I search for my ant. I think I will recognize if it’s her, if I find an ant. Somehow I will know. I am sure of that. But I find not one single ant. Sure, no dead ant body either, but that’s not making me feel any better. I curse myself for not watching better over my ant. Does earth feel the same, when a tsunami or a landslide killed people? Is she sad, she couldn’t watch better over her little ants?

I am on the verge of crying. I wish I never would have met Mrs. Ant. If I hadn’t known her, I couldn’t have lost her. And I wouldn’t care. There is nothing more I can do. I have to give up. Let it go. Not knowing, if I am the murderer of Mrs. Ant or not, not knowing if she lies somewhere, with a broken leg, helpless, praying, waiting that I come to rescue her, take her away from the pain and to a safe place. I hate that this happened. It is another one of those weights on my shoulders. I failed. I probably hurt and or killed another living being. I hate myself.

2 Kommentare

  1. Die Irre sagt:

    Nicht traurig sein, hasse dich nicht! Die Ameise – was auch immer mit ihr passiert sein mag – war sicher froh, dass sie bis dahin gekommen ist! Wie du das beschreibst mit der Erde, Erdbeben und Menschen: Vielleicht ist sich die Erde garnicht bewusst, dass das passiert. Und ja, die Erde bereut das sicher auch, dass sie nicht besser aufgepasst hat. Aber trotzdem hat sich die Ameise in dem Zeitpunkt, in der sie innegehalten hat, sich gefreut, dass du sie beachtet hast; ihr ein übermächtiges Gefühl gegeben hast. Da bin ich mir ganz sicher!
    Und sieh‘ mal, die Ameise ist freiwillig zu dir gekommen. Du hattest keine Wahl. Sie war einfach da; du hättest es garnicht verhindern können ❤

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    1. Das ist mehr ein philosophisches „Ich hasse mich“:Es gibt Dinge, die außerhalb unserer Kontrolle liegen, liegen sollen. Und damit umzugehen ist schwierig. Ich glaube ein Großteil unserer Zeit sind wir damit beschäftigt Gefühle auszubalancieren, die wir selbst gar nicht erzeugt haben, sondern die aus der Interaktion mit der Umwelt, den Mitmenschen etc. entstehen. Und manchmal macht uns das glücklich, manchmal traurig, manchmal zornig. Und ich war in dem Text einer Situation auf der Spur, was passiert, wenn was ganz ungeeignetes, gegensätzliches aufeinandertrifft, wie ein Mensch und eine Ameise. Zwei total unterschiedliche Leben, unterschiedliche Sichtweisen, unterschiedliche Bedürfnisse, die letztendlich auch nicht kompatibel sind. Und das Ergebnis dieser Ungleichheit, dieser Unmöglichkeit ist, dass die Ameise vielleicht ihr Leben verloren hat und ich frustriert und zornig bin über meine Unfähigkeit. Daraus kann man verschiedene Lehren ziehen: Vorsichtig mit der Mitwelt umzugehen, weil man nicht alles Recht hat, nur weil man ein Mensch ist, ist eine zum Beispiel.

      Wobei das Witzige (oder Tolle) ist: Ich hab den Text geschrieben, ohne konkret über die Deutung nachzudenken. Hab es mehr erfühlt. Mit einem vagen Bewußtsein, dass es eine philosophische Metapher für mich ist (sehr, sehr vage!) und erst Dein Kommentar hat mich dazu gebracht darüber nachzudenken, was genau ich sagen wollte. Warum ich es geschrieben hab. Vor allem, warum ich das „Ich hasse mich“ geschrieben hab, was mir ganz wichtig war, eines der 3 wichtigsten Sachen an dem Text für mich. Das „Ich hasse mich“ ist irgendwie das Ergebnis des ganzen. Oder die Erkenntnis. Ev. ein Blick auf die Menschheit als Gesamtes? Muss ich nochmal drüber nachdenken.

      Es heißt also weniger, dass ich mich prinzipiell hasse, denn das tue ich nicht. Viel eher finde ich es normal und natürlich, dass man sich manchmal mehr mag, manchmal weniger. Manchmal ganz doll und manchmal gar nicht. Je nachdem, wo man sich grad im Leben befindet, was man gemacht hat und so. Ich danke Dir sehr für Deinen Kommentar! Ohne ihn hätte ich über all das wohl gar nicht bewußt nachgedacht. Cool! Danke!

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