Ein morgendlicher Gedankenspaziergang

Ok. Gestern morgen, beim Kaffee machen, hab ich darüber nachgedacht, dass ich neulich geschrieben hab, dass die Seele ja vielleicht was Schlechtes ist. Schon als ich den Gedanken hatte, war ich von seiner Neuheit überrascht und fasziniert. Weil ich ihn noch nie gedacht hab. Das hat mich dann weiter zu dem Gedanken gebracht, dass es total krass und merkwürdig ist, dass es auf der ganzen Welt keine Gesellschaft, kein Volk gibt, das denkt, dass wir Menschen keine Seele haben oder dass die Seele was schlechtes ist.

Das finde ich total bemerkenswert. Soweit mir bekannt ist, gibt es keine Gesellschaft, die denkt, dass wir Menschen seelenlos sind (auch, wenn einen manchmal der Gedanke beschleichen könnte, wenn man in die Zeitungen schaut). In Evolutionsjahren gerechnet ist es noch ganz neu, dass die Gesellschaften sich durch globale Vermengung so angleichen. Davor sind die meisten Gesellschaften relativ autonom aufgewachsen. Und trotzdem – nicht eine Gesellschaft ist mit einem wirklich revolutionär anderen Konzept um die Ecke gekommen. Das find ich irgendwie gruselig.

Die Gedanken sind frei – aber nicht grenzenlos
Man könnte denken, dass ich das tröstlich finde, was mir ja oft passiert, wenn was sehr menschlich ist, wenn sich herausstellt, dass wir alle an Schluß doch gleich sind. Komischerweise finde ich es diesmal gruselig. Können wir gar nicht außerhalb unserer Bahnen denken? Weg von uns? Können wir nichts erdenken, was wir nicht erfühlen können? Das wäre horrend. Letztendlich eine Bankrotterklärung. Oder wäre das nur natürlich? Menschlich? Ist es überhaupt wichtig, ob wir nur imitieren und entwickeln oder ursprünglich erschaffen? Wir sind es so gewohnt zu denken, dass wir allmächtig sind. Dass unser Sein, unser Denken grenzenlos ist und wenn es schon Grenzen gibt, dann nur welche, die wir selbst ziehen oder zulassen. Aber, wenn man darüber nachdenkt, funktionieren wir überall erstaunlich gleich. Jeder Mensch weiß zum Beispiel, was Liebe ist. Ob er jetzt im Dschungel des Amazonas lebt, in Entenhausen oder in New York. Innerhalb dieses Gefühls Liebe haben wir unterschiedliche Bewertungen und Erwartungen, wie es gelebt werden soll, aber prinzipiell hätten Menschen aus den genannten Orten kein Problem sich zu verständigen darauf, was Liebe ist.

Oder nehmt Eigentum. Es mag Gesellschaften geben oder gegeben haben, die persönliches Eigentum ablehnen oder darauf verzichten. Und natürlich gib es unsere Gesellschaft, die persönliches Eigentum anbetet. So gegensätzlich das auf den ersten Blick anmutet, haben doch beide Seiten eine Idee davon, was Eigentum ist und bedeutet. Selbst die Völker, die Besitz als Allgemeingut ansehen, haben ja dennoch eine Vorstellung davon, was Eigentum ist. Es scheint so zu sein, dass die Menschen sich unabhängig voneinander doch gleich entwickelt haben und dass unser Denken wirklich relativ zahm und begrenzt ist. Das finde ich total merkwürdig. Anscheinend sind wir doch ein einziger großer Stamm.

Eine ganz neue Dimension
Können wir nix denken, was wir nicht fühlen oder schon einmal gesehen haben, genauso wenig, wie wir uns einen dritten Arm wachsen lassen können? Ist unser Geist also genauso begrenzt, wie unser Körper? Das erinnert mich an mein Erstaunen darüber, dass in Science Fiction-Filmen die Welten und Wesen nie anders aussehen als die hier auf der Erde. Sie sind immer unseren physikalischen Gesetzen unterworfen: Lebewesen haben immer Formen, die auf der Erde vorkommen, Berge gehen immer nach oben, anstatt nach unten oder rundherum oder sonstwas. Das höchste der Gefühle ist mal, dass die Schwerkraft anders ist. Wooooah, strange!!! Ich hab das nie verstanden, diese Phantasielosigkeit. Bis ich mir vor ein paar Jahren die Aufgabe gestellt hab, mir eine andere Dimension oder andere physikalische Gesetze auszudenken. Und dabei gescheitert bin.

Wie jemand, der in einem Raum gefangen ist und an der Wand entlang geht: Nach ein paar Schritten trifft er auf die nächste Wand und kann nicht mehr weitergehen ohne die Richtung zu ändern. Genauso bin ich immer wieder gegen bereits bekannte, benannte Formen, Ideen und Gesetze gestossen. Das war das erste Mal, dass mir bewußt geworden ist, dass mein Denken begrenzt ist. Dass meine Fähigkeit was total Neues, Revolutionäres zu erdenken (fast) nicht vorhanden ist. Und das, obwohl ich sicher viel denke und sicher viel anders denke. Aber letztendlich ist mein Denken verankert in dieser, unserer Welt. Alles, was ich erschaffe und erdenke, basiert auf ihren Formen, Bildern, Farben und Ideen.

Ist der Mensch ein hochbegabtes Tier?
Das hat mich dann zu der Frage gebracht, ob es überhaupt Neues gibt? Ob jemals ein Mensch etwas Neues erdacht hat oder ob wir, wie Tiere, letztendlich nur die Natur imitieren? Ist jegliches Erschaffen nur eine Imitation von dem, was die Natur uns zeigt und wir erweitern das dann und bauen es aus? Nehmt elektrische Gitarrenklänge als Beispiel. Die haben doch sicher nichts mit Natur zu tun und sind sicher was ganz Neues, oder? Ich bin mir da nicht mehr so sicher. Vielleicht sind es auch Variationen, Erweiterungen von Vogelgesang. Vor laaanger, laaanger Zeit hat ein Mensch einen Vogel singen gehört und das Geräusch imitiert. Das hat jemand gehört und hat das Geräusch mit zwei Stöcken auf einem Stein versucht nachzuspielen. Wieder ein anderer hat gemerkt, dass wenn man in die Hände reinsummt, der Ton sich verändert. Und so haben wir, Generation um Generation den Vogelgesang weiterentwickelt und in elektrische Gitarrenklänge verändert. Was eine gigantisch tolle Leistung ist. Nur wäre es nichts, was wir initial erschaffen haben.

Wie Raben oder Menschenaffen imitieren wir, lernen und verfeinern und in der Verfeinerung erschaffen wir neue Variationen. Wir erforschen die physikalischen Gesetze, machen sie uns eigen und erfinden dann Raumschiffe. Wir machen uns die Natur und ihre Gegebenheiten zunutze. Wie ein Bauer sein Feld bestellt, um Korn zu ernten, bearbeiten wir die Natur und ihre Gesetze, um aus ihnen etwas anderes hervorzubringen. Das ist genial phänomenal – aber macht uns nicht zum Ursprung des Ganzen. Also stellt sich für mich tatsächlich die Frage, ob die Menschen jemals wirklich was selbst erschaffen haben und ob wir das überhaupt können? Probiert selbst mal aus, ob Ihr was erdenken könnt, was total fremd ist. Eine andere Dimension oder eine andere Welt. Und fremd heißt, dass es auch nicht einfach nur das Gegenteil von was ist, was uns bekannt ist. Dann ist es ja nicht mehr fremd.

Stillstand ist der Untergang
Es ist wie dieses alte Bild von dem Menschen, der nicht weiß, dass Höhe existiert. Der nur zweidimensional denkt. Wenn man diesen Menschen in einen Reifen stellt, dann wird er darin für immer gefangen sein. Weil er nicht weiß, nicht denken kann, dass er einfach über den Reifen drübersteigen kann. Er wird es wahrscheinlich noch nicht mal versuchen, denn für ihn ist es eine Tatsache, ein Gesetz, dass es nur zwei Dimensionen gibt. So wie wir denken, dass Luft nur Luft ist. Aber wer weiß, vielleicht lebt die Luft ja? Nur wir können es nicht sehen, fühlen, weil wir nicht die Fähigkeit haben diese Dimension wahrzunehmen?


Wir leben in einer Zeit, in der wir dem Sichtbaren, dem Zählbaren huldigen und das „real“ nennen. Was wir nicht sehen und fühlen können, existiert für die meisten Menschen nicht. Wir leben in einer Zeit, in der wir denken, wir seien die Herrscher über Zeit und Raum. Eine Zeit ohne Zweifel und Demut. Ohne Raum für Nichtwissen. In früheren Jahrhunderten und Jahrtausenden haben Menschen sich mit den Fragen unseres Seins, unseres Wesens beschäftigt, um zu überleben. Philosophie hat den Menschen geholfen, sich selbst und ihre Umwelt zu verstehen, ihren Platz im Gefüge der Welt zu finden und sich weiter zu entwickeln. Philosophen waren wichtig für die Gesellschaft, für ihr Selbstverständnis. Heute ist Philosophie was obskures. Was lebensfremdes. Etwas, das keinen zählbaren Ertrag bringt und daher ohne Nutzen.

In Wahrheit ist es aber genau das Gegenteil. In Wahrheit ist das ein gefährlicher Irrtum. Ohne Philosophie, ohne das Erforschen von Zusammenhängen, ohne das Erdenken unserer Gründe, ohne die herschende Struktur in Frage zu stellen, gibt es keine Entwicklung. Und ohne Entwicklung gibt es kein Leben.



P.S. Dieser Gedankengang ist noch relativ neu für mich, obwohl ich Teile davon schon etwas länger im Geist bearbeite. Daher ist er noch nicht ganz ausgefeilt. Ich kann noch nicht genau den Finger auf den springenden Punkt legen. Das wird sicher noch kommen. Aber ich weiss, aktuell ist die Idee noch etwas ungeschliffen. Und: Vielleicht hat auch einer von Euch von Zivilisationen gelesen/gehört, die ein ganz anderes Konzept des Menschen haben? Das wäre spannend!

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