Wusstet Ihr schon…? Teil 4: Der Maschinengott

Ok. Weiter geht es mit dem 4. Teil der Reihe „Wusstet Ihr schon…?“

Wusstet Ihr schon, dass ich grad einen zauberhaften Wikipedia-Artikel gelesen hab? Ok, ok, ich geb zu, das ist nicht fair. So wie es bei Computerspielen, Krimis und Logikrätseln Regeln zwischen dem Verfasser und dem Nutzer gibt, gibt es natürlich auch bei „Wusstet Ihr schon…?“ und ähnlichen Reihen Regeln. Die wichtigste ist, dass der Leser zumindest die Chance haben muss, es schon zu wissen. Ich selbst hasse es, wenn Spieleentwickler diese Fairnessregel nicht einhalten. Das ist gemein. Wenn ich 26 Farben in ner bestimmten Reihenfolge anordnen soll, dann ist es mehr als ungerecht, wenn ich nur Hinweise zu 12 finde und am Rest selber rumschrauben muss durch Versuchen. Das ist doch Quatsch. Gemein. Genauso, wenn man mir 30 Sekunden Zeit gibt, um 29.999 Einheiten Holz anzuhäufen. Unfair.

Aber das alles wollte ich gar nicht schreiben. Oder doch? Egal. Zurück zum „Wusstet Ihr schon…?“ Für den heutigen Beitrag hab ich grad die Wikipedia Artikel zu McGuffin, Alien Space Bats, Big dumb object und Deus ex Machina gelesen. Und der deutsche Wikipedia Artikel zu Deus ex Machina ist bezaubernd. Das ist der erste Wikipedia Artikel, den ich lese, der mir gefällt, der eine Seele hat. Der mir nicht nur was erklärt hat, sondern mich was gelehrt hat, mir was begreifbar gemacht hat. Das fand ich bemerkenswert. Ich hab bisher auch noch nicht so bewußt über diesen Unterschied nachgedacht und tue das grade. Sehr interessant. Ok, weiter im Text: Wusstet Ihr schon, dass Deus ex Machina wortwörtlich beschreibt, was es ist? Ein Gott an einer Maschine. Ja, wahrscheinlich habt Ihr das schon gewusst. Ich geb zu, das heutige Thema ist nicht sooo mirakulös. Daher hier noch ein paar Betrachtungen und Anmerkungen von mir dazu.


Im Gegenteil zu den Alien Space Bats oder zum McGuffin, welcher in sich schon ein McGuffin ist, denn der Versuch des McGuffin’s tieferen Sinn zu verstehen, schickt uns auf eine Reise ohne Wiederkehr, ist Deus ex Machina keine augenzwinkernde Anspielung, die in sich schon ein Witz für Eingeweihte ist, sondern es ist schlicht eine Beschreibung. Eine Regieanweisung aus dem Theater. Ein Gott erschien. Und es ist faszinierend, dass wir selbst heute noch, wenn wir den Begriff nutzen, ihn theatralisch verwenden. Wie eine Regieanweisung. Wir sagen nicht: „Der Deus ex machina musste dann mal auf Klo“, sondern wir sagen: „Und just in diesem Moment erschien Zwickelzwackel wie der Deus ex Machina.“ Wir sagen es mit großen, weit ausholenden Gesten und dramatischer Stimme.

Schall und Rauch

Das Theater hat in der Antike, sowohl in der griechischen, als auch der römischen, eine gewichtige Rolle gespielt. Praktisch aus Notwehr heraus. Denn die hatten ja auch keinen Fernseher und mussten sich deshalb was anderes einfallen lassen. Aber das nur nebenbei. Die Griechen, die die Urväter und -mütter jeglichen Theaters sind, hatten für ihre Aufführungen schon ganz ausgeklügelte Apparate, Lichter, Aufbauten und Abläufe, um die Zuschauer zum Erstaunen, Erschrecken und Bewundern zu bringen. Ein Teil der damaligen Aufführungen war eine Maschine, an der ein Gott auf die Bühne geschwebt kam mittels Kran und Seilen, um über die Verwirrungen der Menschen ein Machtwort zu sprechen und diese dann flugs zu entwirren. Deus ex Machina war also schlichtweg sprichwörtlich ein Gott an einer Maschine, ein Gott aus einer Maschine. Somit ist es sowohl ein Stilmittel, als auch ein Kunstgriff.

In dem oben genannten Wikipedia Artikel wird sehr schön beschrieben, wie Gottheiten oder Dämonen damals ein letztes Mittel waren, um uns Menschen zur Räson zu bringen, uns zu helfen gegen uns selbst, um unaufklärliches aufzuklären, unerklärliches zu erklären oder uns durch ein Wunder so zum Staunen zu bringen, dass wir demütig zur Vernunft kommen. Wenn alles schon ganz verfahren ist oder das Böse am Siegen ist, kamen Zeus oder Athene heruntergeschwebt, um uns den rechten Pfad zu zeigen. Auch in der Bibel werden in vielen Stücken Menschen mit sich selbst und ihren Mitmenschen nicht mehr fertig und dann muss auch Gott oder ein Gesandter Gottes herabgeschwebt kommen, um uns zu helfen. Vielleicht kann man sagen, dass Jesus der ultimative Deus ex Machina ist?

Im Laufe der Jahrhunderte, während wir wissenschaftlich vorangeschritten sind und das „Reale“ für uns mehr Bedeutung gewonnen hat, als das Imaginative, Gefühlte, hat sich die Bedeutung von Göttern für uns immer mehr verringert. So weit, dass für uns heute der Deus ex Machina in der Regel überhaupt kein Deus mehr ist. Es käme uns komisch vor, wenn in einer Folge von „Heimliche Liebe auf Kreidehof“ oder „Doctor’s waiting room“ (oh, wahrscheinlich gibt’s das in echt!?) am Ende der Folge Gott vom Himmel geschwebt kommt, um aufzuklären, dass die acht Leute deshalb wie kleine Sternchen aufeinander zu getrieben sind (die Schnuckelsche!), weil sie eigentlich Achtlinge sind, die bei der Geburt voneinander getrennt wurden („da sieht man mal wieder, Blut ist dicker als Wasser! Ach, ist des schee!“ „Hm, Du weißt schon, dass das nur Fernsehen ist? Jaa…schon, aber, irgendwie ist es doch wie im richtigen Leben!“ Aha). 

Die Frage, die sich mir gerade eben, während ich das hier schreibe, stellt, ist: Wenn Gottheiten keine Rolle mehr spielen, was ersetzt sie? Denn ich glaube nicht, dass der Mensch ohne an etwas zu glauben, ohne etwas anzubeten existieren kann. Beten wir nun uns selbst an? Oder beten wir deshalb Geld an? Weil wir den Glauben an Gottheiten verloren haben? Aber die Geschichte vom goldenen Kalb ist ja schon uralt, also wurde Geld schon immer angebetet. Vielleicht ist es so, dass damals eine Phase war, wie jetzt, wo die Anbetung von Geld/Gold überhand nahm, was den Boden für das Christentum vorbereitet hat, praktisch als Gegenbewegeung?


Ignorance is bliss

Es gibt ein Computerspiel namens Deus ex Machina, welches ich relativ gern gespielt hab, auch, wenn ich nicht genau sagen, kann, was der Deus, was der ex und was die Machina ist oder was die alle mit dem Spiel zu tun haben. Kling aber cool, von daher geht das wohl schon in Ordnung so. Mein persönliches Verhältnis zu Deus ex Machina ist leider nicht besonders gut. Aus irgendeinem Grund hab ich das als sehr junger Mensch nie wirklich verstanden oder angenommen (da ist mein simples Logikgemüt wieder). Ich dachte immer, da müsste doch irgendwo eine echte Maschine im Spiel sein, sonst macht das doch keinen Sinn. Konnte die aber nicht identifizieren und wie das so ist, hab mich auch nicht getraut zu sagen: „Ey, Mensch, ich check das nicht.“ So hab ich bis Mitte zwanzig immer um diesen Begriff herumgedacht und dümmlich gelächelt, wenn jemand ihn benutzt hat (auf die Art und Weise, wie man dümmlich lächelt und Ja sagt, wenn man schon zwei Mal nachgefragt hat“Was hast Du gesagt?“ und kein drittes Mal mehr nachfragen will und einfach hofft, dümmliches Lächeln und ein Ja passen. Und ob Ihr’s glaubt oder nicht, bis heute hat mich noch keiner zur Verantwortung dafür gezogen. Noch keiner hat gesagt: „Sag mal, ich erzähl Dir grad, ich hab schreckliche Alpträume von Dir und Du findest das ok? Um dann auch noch so dümmlich zu lächeln?“ Aber gut, ich weiß natürlich nicht, was sie hinterher gesagt oder insgeheim gedacht haben. Hab’s ja nicht gehört. Net wahr).

Und als ich Mitte zwanzig dann mal den Ursprung und die Bedeutung von Deus ex Machina verstanden, nachgelesen hab, war das total enttäuschend. Ich hatte mir Gott weiß was Intellektuelles, Kniffliges und Grandioses und vor allem Passendes vorgestellt hinter dem Geheimnis von Deus Ex Machina. Und dann war das so was uninteressantes. Noch nicht mal lustiges. Was, was noch nicht mal irgendwie prägnant war. Womit wieder bewiesen ist: Wenn Du irgendwas groß und wichtig machen willst, tu geheimnisvoll und gib keine Infos raus, dann können die Menschen sich nix drunter vorstellen und stellen sich was drunter vor.

Was mich tatsächlich fasziniert, ist die Veränderung der Begrifflichkeit Deus ex Machina, die einher geht mit unserer eigenen Entwicklung. Hier hat sich eine Begrifflichkeit zwar gehalten, aber ihre Bedeutung hat sich verändert. Nicht so radikal wie beim Begriff Patrioten, wie früher die Fremden, die Barbaren, also gerade die nicht Einheimischen, die Nichtgriechen genannt wurden, während wir heute genau das Gegenteil mit Patrioten meinen, nämlich, die, die in einem Land zuhause, ihm – wie auch immer – verbunden sind. Aber die Veränderung des Begriffes ist doch signifikant. Vor allem, wenn man im Begriff tatsächlich von einem Deus, einem Gott spricht und es dann überhaupt keiner mehr ist! Früher waren es tatsächlich ausschließlich Götter, von Gott gesandte oder Gegenspieler von Göttern, die von außen und oben herab in ein Stück oder Buch eingreifen mussten, um den Autor zu retten. Vielleicht sehen wir heute uns selbst in dieser Rolle als Gottheiten? Hat das Verstehen von Blitzen, Gravitation und Fliehkraft uns in die Gefielde erhoben, die früher nur den allwissenden Göttern zugänglich war? 

Kurzum: Heute kann ein Deus ex Machina alles sein, aber nur in Ausnahmefällen wird es noch eine Gottheit sein. Mir fallen eigentlich nur Animes ein, da kommen vielleicht noch Götter als Gott aus der Maschine vor? Aber ansonsten nutzen wir den Begriff Maschinengott, Gott aus der Maschine heutzutage nicht mehr für Götter. So, das war’s. Und der nächste Teil wird wieder mirakulöser. Versprochen.

Mehr aus der Reihe „Wusstet Ihr schon…?“
Teil 1: Der soziale Magen
Teil 2: Analoge Organe
Teil 3: Das billige Gesicht

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