Klammheimliche Rebellion

Ok. Ich hab hier ja schon paar Mal geschrieben, dass ich denke, dass Kunst was ist, was aus Wohlstand geboren wird. Nicht missverstehen, ich meine das so: Wenn ich grad 12 Stunden auf dem Feld geschuftet hab, dann hab ich sicher weder Bock noch Kraft mich danach noch auf irgendwas, auch nur irgendetwas einzulassen. Oder wenn ich am Rand der Existenz hin und her dümpele, dann rauben mir unbezahlte Rechnungen den Schlaf und nicht Visionen oder Ideen.

Nun würde ich aber, durch Beobachtungen und eigene Erfahrungen, sogar noch einen Schritt weiter gehen wollen und sagen: Kunst und Philosophie entstehen aus Müßiggang. Leider hat Müßiggang so einen negativen Geschmack bekommen in unserer funktionalen Zeit. Aber eigentlich heißt Müßiggang ja nur, dass man Zeit hat, um müßig zu sein. Zeit, in der man nicht für seine Existenz sorgen muss UND – entscheidenderweise – auch nicht andersweitig verplant ist. Das ist weder was negatives, noch was überflüssiges, sondern was Gutes. Daher ist Müßiggang was Gutes für mich. Aber, geb ich zu, es ist der pure Luxus. Nu ist das ziemlich unfair und zum Kotzen: Länder, denen es wirtschaftlich schlecht geht, geraten gleichzeitig auch emotional, philosophisch und künstlerisch immer mehr ins Hintertreffen, weil sie durch den Existenzkampf nie genug Luft haben für neue Ideen und Impulse, neue Konzepte, Forschung, Weiterbildung (und wer weiß, vielleicht ist das so wie mit dem Huhn und dem Ei und geht das sogar eigentlich Hand in Hand, vielleicht braucht man das Denken und Fühlen für Wohlstand und vice versa?) Wisst Ihr von einer großen philosophischen oder wissenschaftlichen Erfindung, die in Afrika gemacht wurde oder in einem kleinen asiatischen Staat? Kennt Ihr große osteuropäische Künstler außerhalb/losgelöst von Russland? Siehste!

Das schlimme ist, dass wir in Deutschland, die wir mal das Land der Dichter und Denker genannt wurden, mit unserer Fixierung auf die Produktion und die freie Marktwirtschaft, selber zu einem künstlerischen, philosophischen Entwicklungsland werden oder bereits geworden sind. Die Mehrheit des „Volkes“ hat eine extrem negative Meinung über Künstler und Denker, wie auch gegenüber Experten, sprich gegenüber der Bildung. Sie hegt Mißtrauen gegen alles nicht sicht-, ess-oder nutzbare und hat das merkwürdige Bild, dass jeder, der sich geistig beschäftigt automatisch ein Versager des praktischen Lebens ist. „Der kann vielleicht relativ denken, aber kann er auch einen Nagel einschlagen???“ Dabei ist Kunst und Denken etwas, was ganz praktisch unsere Zukunft garantiert. Etwas, das wir zum Überleben brauchen. So wie Kinder. Denn wer sich nicht entwickelt, wer sich nicht auseinandersetzt, wer nicht beobachtet und lernt und in Frage stellt, wird eingehen. Eine Gesellschaft ohne den Freiraum für Kunst und Denken ist dem Untergang geweiht. Nicht ohne Grund ist einer der ersten Schritte einer Diktatur immer freie, eigenständige Bildung zu unterbinden und die Presse, Künstler, Denker und Schriftsteller mundtot zu machen. Wie man grad ganz aktuell am Beispiel türkei und ungarn gut sehen kann. Eine Gesellschaft, die sich nichts vorstellen kann, die nicht größer als sie selbst träumen kann, stumpft ab und wird lebensunfähig. Empathie, etwas das unabdingbar ist für das Zusammenleben in einer Gemeinschaft, erwächst aus Phantasie, Nachdenken und Verständnis. Wer sich nicht vorstellen kann, wie es sein könnte, selbst fliegen zu können, kann sich auch irgendwann nicht mehr darin einfühlen, wie der andere sich fühlen mag, wenn ich ihm weh tue. Also stoppt ihn nur noch wenig davor, dem anderen auch wirklich weh zu tun. Wir sehen diese Verrohung, den Verlust des Vorstellungsvermögens und des Mitgefühls tagtäglich.

Ich hab das mit dem Müßiggang grad erst mal wieder am eigenen Leib erfahren: Ich hatte neulich 2 Wochen mehr zu tun als sonst und habe dadurch praktisch aufgehört zu denken, zu malen und zu schreiben. Das war ganz schrecklich. Ich konnte mich einfach nicht darauf einlassen, hatte keine Energie dafür übrig. Es schaudert mich bei dem Gedanken an all die Bilder und Gedanken, die verloren gehen zwischen den Mahlsteinen der täglichen Arbeit. All diese verlorenen Gefühle und Ideen all der Menschen! Wir sind eingetreten in eine neue Zeit der Armut. Wir haben zwar Geld, aber keine Zeit davon zu leben. Wir haben zwar Freizeit, aber keine Zeit für Muße. Unsere freie Zeit wurde praktisch genauso professionalisiert, wie der Berufsalltag. Wir sitzen nicht auf einer Wiese, nen Grashalm im Mundwinkel, während der Wind eine unserer Haarsträhnen hin und her bewegt und fragen uns, was der Sinn des Lebens ist, wir lassen uns entertainen und erleben quality time. Wenn wir nach Hause kommen wird der Fernseher an gemacht und das bleibt er, bis wir das Haus wieder verlassen. Nur ja keine Stille. Wenn wir in der Bahn sitzen, wird sofort das Handy gezückt, damit wir beschäftigt sind und bespaßt werden und ja die Umwelt nicht wahrnehmen müssen (Gott, nachher lächelt mich jemand an, was mach ich denn dann???), bis wir wieder aussteigen. All das, damit wir nicht gezwungen sind in die Welt um uns herum, den Spiegel oder die Leere in uns selbst zu schauen.


Mir wird Angst und Bange um unsere Zukunft, wenn ich mich so umschau. Deshalb kämpfe ich klammheimlich einen rebellischen Kampf für den Müßiggang. Ich versuch die Menschen um mich rum für sich selbst zu begeistern. Sie zu schätzen und sie fühlen zu lassen, wie das ist, wenn man geschätzt wird – einfach so, ohne irgendwas dafür leisten zu müssen! In ihnen einen Funken zu wecken für Empathie und Spaß. Und vor allem dafür freier zu sein. Eine (zugegebenermaßen bissle fiese) Sache, die ich mach, wenn ich Menschen, mit denen ich den Alltag gezwungenermaßen teile, zum Nachdenken oder Innehalten bringen will, ist, dass ich sage: „Es ist leicht, sich über andere lustig zu machen und viel schwerer andere zu respektieren und ernst zu nehmen.“ Ich fühl mich ein bissle schlecht damit, weil ich damit natürlich durch Schuldgefühle manipuliere, aber auf der anderen Seite meine ich das auch wirklich ganz ernst. Und ich red mir ein, dass es entschuldigt ist, weil dadurch Leute schon was näher betrachtet haben, was sie sonst nur lächerlich gemacht hätten und sie so plötzlich unversehens auf eine ganz andere, eine emotionale Eben gerutscht sind, die sie dann ganz merkwürdig nah berührt hat. Das war irgendwie magisch manchmal. Kloß-im-Hals-magisch.

Und wie ich alte Quasselstrippe immer sage: Man kann alles, wirklich alles, immer auf zwei Arten sehen. Positiv oder negativ. Ernst nehmen oder lächerlich machen. Und wenn man das mal emotional begriffen hat, eröffnet einem das einem eine nahezu grenzenlose Freiheit und Sicherheit. Denn wenn es nur an mir liegt, wie ich etwas betrachte, beurteile, dann ist dieses „es gibt kein falsch oder richtig“ nicht nur ein dummer Spruch, sondern dann ist es real, dann kann ich das in meinem Leben tatsächlich wirklich nutzen und die Entscheidung darüber liegt nur bei mir!!! Das ist total krass. Wir rennen unser ganzes Leben gehetzt und geduckt rum, kriegen beigebracht, uns hierfür zu schämen, diese abwertenden Blicke zu fürchten, uns deswegen schlecht zu fühlen und darüber stolz zu sein, wenn in Wahrheit wir allein jedesmal wieder neu bestimmen können, wie wir was finden. UND WER WIR SIND. Und niemand kann uns das wegnehmen. Das macht das ganze Leben, jeden Tag zu einem Abenteuer, wenn man das will. Wir entscheiden, ob wir heute vielleicht mal was ganz krasses ausprobieren wollen und unserem Gegenüber in der Bahn einen schönen Morgen wünschen und ihn/sie anlächeln. Stellt Euch das mal vor!! Und die können gar nix dagegen machen, ha! Abgefahren, gell? Ok, jetzt hab ich mich irgendwie mitreißen lassen und den Faden verloren und weiß nicht genau, wie ich hier gelandet bin, macht aba nüscht, Ihr wisst ja eh, was ich meine.

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