Ok. Hier kommt der 2.Teil von „Nah und Fern“. In „Nah und Fern“ betrachte ich unstrukturiert verschiedene Arten von Liebe. Im 1.Teil ging es um meine Liebe zum Radsport, jetzt nehme ich mir die Liebe zu einem Haustier vor. Wie immer gehe ich vom Themen – Ursprung aus los und folge dann, unstrukturiert und ungeplant dem Pfad, auf den mich das Thema führt. Ihr denkt an Liebe zu Haustieren ist nicht viel dran über das man nachdenken kann? Oh doch, mehr als man meinen könnte. Schließlich gehen wir so weit wie nötig für unsere Haustiere, wir betütteln sie, wir geben viel Geld für sie aus. Manche Menschen verzichten auf Reisen wegen ihnen. Wir geben ihnen Namen, photographieren sie (wann habt Ihr das letzte Mal Euren Schrank Bello, Euren Gummibaum Erna oder Eure Müslischale Schnurri photographiert?) und wenn sie sterben beerdigen wir sie wie unsere menschlichen Lieben und weinen um sie.
Beim Thema Haustier und Liebe scheiden sich die Geister: Die einen können nicht verstehen, wie man von Liebe reden kann, wenn es sich nicht um einen Menschen handelt, die anderen lieben ihr Haustier so, wie sie auch ein Kind lieben (würden). Das hier ist kein Tiererziehungsblog, glücklicherweise muss ich also nicht vernünftig, sachlich und praktisch sein. Daher lassen wir mal außen vor, was diese ganze Aufmerksamkeit mit den Tieren selbst macht und welche Art von Liebe gut für die Tiere wäre. Stattdessen geht es um das Thema Liebe und ihre Psychologie und was diese Liebe mit uns macht.
Wenn man die gängigen Haustiersendungen mal anschaut, dann fällt einem sofort auf, dass die Menschen immer das Gefühl haben, sie müssten sich entschuldigen dafür, dass sie ihr Haustier so sehr lieben. Das rangiert von: „Ich hab keine Kinder (oder alternativ: die Kinder sind aus dem Haus) und meine Katze/Hund/Marder ist mein Kindersatz“ bis zu „Ich weiß, es ist nur ein Tier, aber schließlich hab ich ja die Verantwortung für ihn/sie übernommen.“ Diese und andere Variationen haben eines gemeinsam: Die meisten Menschen haben das Gefühl sie müssen relativieren, dass sie für ein Tier eine Empfindung fühlen, die sie eigentlich (nur) für einen Menschen fühlen sollten. Woher kommt dieses schlechte Gewissen, das wir haben, wenn wir Haustiere so sehr lieben? Weil wir die Wertigkeit unserer Liebe am Objekt festmachen und nicht an uns oder an dem Gefühl, der Liebe selbst. Und der vernünftige, (an)erzogene Teil von uns meint zu wissen, dass in der Gefühls-Skala ein Haustier einen niedrigeren Stellenwert haben sollte als ein Mensch. Wir fühlen uns daher bloßgestellt, schämen uns ein bißchen, wenn wir sagen: Ich liebe meine Katze. Obwohl es so ist. Wir befürchten tief drin vielleicht, andere denken wir lieben ein Tier, weil wir keinen Menschen finden, den wir so ungestört lieben können. Ein Teil von uns ist sich wohl auch bewußt, dass das Tier sich unserer Liebe nicht erwehren kann. Alles in allem fühlen wir uns unzulänglich, etwas albern, ertappt, wenn jemand zu genau hinschaut, ob und wie wir unsere Haustiere lieben.
Wir leben in einer Zeit, in der unsere Taten, unser Beitrag zum Leben irgendwie nichtiger geworden sind: Wir müssen nicht mehr jagen oder sammeln, kein Holz hacken und unser Tag geht weiter, auch wenn die Sonne untergeht. So viel freie Zeit. Wir machen sicher wichtige Sachen in unseren Leben – aber wir sind ersetzbar für die Gesellschaft und unser und anderer Überleben hängt nicht mehr von unseren Taten ab und schon gar nicht von jedem einzelnen. Gibt inzwischen so viele von uns. Dadurch müssen wir uns heute unsere Rolle und Funktion in einer Art und Weise suchen und sie auch anders bestätigen, als früher. Gleichzeitig sind wir aber was Emotionen, Leben, Entscheidungen, Freiheit angeht, ganz oft total überfordert. Weil wir auf das Heute einfach nicht ausreichend vorbereitet sind. Die soziale, gesellschaftliche Zeit bewegt sich mit jeder vergangenen Zeiteinheit schneller, sie potenziert sich (nennt man das Fortschritt?). Auf jeden Fall bewegt sie sich schneller als wir es je können werden. Was meine ich damit? Ich meine folgendes: Unser praktisches Leben hat sich so weit wegverändert von dem, was vor 20, 50 oder 100 Jahren noch normal war, aber unsere Begrifflichkeit, unser Selbstverständnis bewegt sich nicht schnell genug mit. Was nur logisch ist, wenn man überlegt, dass die, die uns diese Begrifflichkeit vermitteln, aus der Vergangenheit kommen. Jede Erziehung ist somit irgendwie rückwärts gerichtet, Zeit bewegt sich aber immer nur vorwärts. Unsere Eltern und Lehrer können uns immer nur auf ihre eigene Gegenwart vorbereiten, nicht auf unsere. Irgendwann, wenn wir „erwachsen“ sind, wird erwartet, dass wir den Staffelstab übernehmen und uns selbst auf auf unsere eigene Gegenwart vorbereiten. Das Ding ist – ich bezweifle, dass dieses Konzept, das mal sinnvoll war, heute noch funktionieren kann. Zu schnell verändern sich inzwischen die Anforderungen und Gegebenheiten und zu wenig Vorbilder oder Alltagslehrer gibt es. Wir lernen mehr vom Fernseher als von Menschen. Und dadurch sind wir heute doppelt hintendran: Unsere Lebenslehrer lehren uns die Vergangenheit, wir selbst können uns auch nur noch die Vergangenheit oder maximal den gerade vergehenden Moment lehren, weil die soziale Zeit zu schnell für uns rennt. Dadurch ist die soziale Zeit uns doppelt voran. Während wir noch versuchen aufzuholen, hat sie sich schon weiterbewegt.
Zu groß sind inzwischen auch die meisten Zusammenhänge der Welt, als dass wir sie wirklich noch begreifen könnten. Früher war die „Welt“ maximal ein paar hundert Kilometer groß und die Begrifflichkeiten und Sitten innerhalb dieser Welt waren ähnlich, so dass die Menschen viel weniger das Gefühl hatten fremd und allein auf und in der Welt zu sein. Heute ist die Welt, die wir sehen, viel zu groß als dass wir sie emotional noch verstehen können. Ich glaube, wir können das gar nicht mehr fassen, verarbeiten, weil es zu weit von uns weg ist. Wir können es emotional maximal aufnehmen, aber nicht in unsere Gefühls- und Gedankenwelt einbauen, so wie es nötig wäre. Intern hecheln wir also dem Äußerem immer mehr hinterher. Die Welt und die Zeit heute sind für ganz viele unlebbar geworden. Vor allem mit den Konzepten, die wir bisher hatten und wir entwickeln neue, eigene Strategien, um damit zurecht zu kommen. Manche dieser neuen Konzepte sind ok, manche sind ein bißchen verkorkst und manche sind gefährlich. Das ist normal. Wichtig ist nur, dass wir uns dessen bewußt sind.
Vor 100 oder auch noch 50 Jahren, gab es tatsächlich weniger äußere Einsamkeit, weil es sehr viel engere, kleinere – aber auch sehr viel unfreiere – Nukleen gab. In der Regel verbrachten die Menschen ihr Leben mit ihrer Familie, Verwandschaft, Nachbarn, gesellschaftlich Nahestehenden, eben den Menschen, die räumlich nah und greifbar waren. Das Bedürfnis nach Nähe und Akzeptanz ohne bewertet zu werden, das unsere Haustiere heute erfüllen, wurde früher großteils durch diesen Personenkreis abgedeckt. Heute hat sich das geändert. Es ist eher ungewöhnlich und immer seltener, dass Menschen da bleiben, wo sie aufgewachsen sind und im Gegensatz zu früher, wo man in einen festen Lebenskreis geboren wurde, ihn sozusagen geerbt hat, dürfen, aber auch müssen wir uns heute selber eine „Familie“, bestehend aus Verwandten und Freunden, suchen.

Dies setzt viele Menschen unter enormen Druck. Früher wurden die Mitglieder eines Lebenskreises vielleicht nicht alle gleich gern gemocht, aber auf jeden Fall akzeptiert. Nicht aus Menschenliebe heraus, sondern aus der Not heraus, weil jeder auf den anderen angewiesen war. Es gab kaum Alternativen. Entweder Du gliederst Dich da ein oder bist außen vor. Das hatte natürlich eigene, massive und ganz andere Probleme zur Folge. Aber es bot auch Schutz und Sicherheit. Man hat wo dazugehört. Heute kann sich jeder einfach wegbewegen. Irgendwo ist uns bewußt: Wenn der/die mich nicht mag, dann geht der/die einfach. Das emotionale und zwischenmenschliche Leben ist ungemein unsicher und ungewiß geworden. Fordernd. Zu fordernd für ganz viele Menschen. Im Gegensatz zu den bunten Bildern der Werbung, die uns weis machen will, dass alle glücklich, frei, kompetent und nett sind (und bunt und hübsch) ziehen sich viele Menschen immer mehr zurück und sind eben kein Teil der bunten Welt.
Ein Haustier bietet daher eine solide, geschützte Beziehung, in der wir emotional endlich mal nichts leisten müssen. Die Sehnsucht danach geliebt und akzeptiert zu werden ohne etwas dafür bezahlen zu müssen ist enorm.
Es ist einsamer geworden in der Welt. Auch dank der vielen unlebendigen Spielgefährten, die wir haben, die uns einerseits beschützen vor der Einsamkeit und uns gleichzeitig auch wieder einsam machen. Ein Schwatz an der Haustür hatte früher mehrere Funktionen: Neuigkeiten austauschen, sich gegenseitig versichern, dass man sich schätzt, Fronten gegen andere bilden, Zeit vertreiben, Gemeinschaft pflegen. Heute sehen wir die Nachrichten am PC, Tablet oder Fernseher und die ganzen sozialen Funktionen, die ein Gang ins Wirtshaus oder ein Plausch auf der Straße hatte, sind uns verloren gegangen. Was hat das alles mit der Liebe zu Haustieren zu tun? Es ist das Milieu, das Zeitgeschehen, in das die Liebe zu Haustieren eingebettet ist. Es zeigt die Funktion, die Haustiere heute übernehmen müssen: Sie sind die Nachbarn, Geschwister, Kinder, Tanten und Onkel, der Besitzer des Lebensmittelladens die Straße runter, die früher zum Lebenskreis gehörten und die uns heute oft abgehen. In einer Zeit, in der wir uns unserer Gefühle und Bedürfnisse immer bewußter werden, sie aber immer weniger befriedigen können, in einer Zeit, in der wir uns immer mehr wie Tantalus fühlen, sind Haustiere für viele der oder ein emotionaler Partner, der sie so liebt und sich für sie „interessiert“, wie sie es sich wünschen.
Fazit: Haustiere müssen heutzutage teilweise eine Rolle erfüllen, die früher Menschen ausgefüllt haben. Daher ist es nur absolut folgerichtig und logisch, dass wir die Liebe, die wir früher für einen Menschen in dieser Funktion gefühlt haben, nun für ein Tier fühlen. Unser Gehirn stellt diese emotionale Verknüpfung oft mit Vernunft in Frage, unser Herz kümmert sich aber nicht darum, wie Dinge für andere aussehen oder um Wertungen, es will einfach nur das Bedürfnis was es hat befriedigen. Und da unser persönlicher Beitrag zur Welt so ersetzbar geworden ist, fehlt uns immer mehr die Bestätigung, dass wir trotzdem zählen und einzigartig sind. Daher ist es nur absolut folgerichtig, dass die Liebe eines Tieres, für dessen Überleben wir tatsächlich unersetzbar sind, für uns heute um so vieles wichtiger geworden ist, als es früher der Fall war.
Meine persönlichen Anmerkungen hierzu: Ich denke: Liebe ist Liebe. Wir müssen uns nicht für sie entschuldigen und sie auch nicht permanent hinterfragen und kleinreden. Wenn wir niemandem was wegnehmen und glücklich damit sind, wenn wir sie ab und zu bewußt anschauen und wissen, was sie ist, dann ist es vollkommen ok ein Tier oder ein Hobby zu lieben, wie man einen Menschen liebt. Wenn wir unglücklich sind damit, dann sollten wir was ändern, weil dann etwas fehlt. Das Objekt unserer Liebe bestimmt nicht, ob unsere Liebe wertvoll oder angebracht ist oder nicht. Wenn jemand sein Auto liebt und total entzückt und glücklich ist, dann ist mir das lieber als jemand der nichts leidenschaftlich liebt und sich lustig macht über den passionierten Autoliebhaber. Nu erlaub ich mir sogar noch kitschig zu werden zum Abschluss: Entschuldigt Euch nicht, wenn Ihr was liebt, freut Euch, dass Ihr sagen könnt: Ich liebe es. Selbst wenn das „Es“ Ihr selber seid. #Noreasontobeashamedtolove
Ok. Das waren sie: Die zweiten Annäherungen an das Thema Liebe in Form von Haustierliebe. Danke für’s Durchhalten, ich weiß die „Nah und Fern“ – Sachen sind sehr lang und ich bin selber überrascht, wo mich der Weg am Ende hinführt, aber das ist ja das Spannende daran. Jede Form der Liebe ist nunmal kompliziert und steht nicht für sich alleine, sondern ist eingebettet in Geschichte und Zeit.