Schönheit – Von häßlichen Entlein, gerade gewachsenen Bäumen und zarten Rosenblättern

Ok. Ich hab grad einen Satz gelesen, den ich in „Ich hasse den Sommer“ gechrieben hab. Und den Satz finde ich schön. Innen und außen. Das ist er:

Meine eigene Zeit ist nachts. Manchmal stelle ich mir das so vor: Um die Uhrzeit sind weniger Gedanken unterwegs, weil so viele Menschen schlafen. Und deshalb bleibt mehr Raum für meine.

Das hat mich dazu gebracht, darüber nachzudenken, dass es schon ganz schön krass ist, dass wir innere Schönheit wahrnehmen können. Oder zumindest denken, dass wir das können. Und ich glaube auch, das ist so. Äußere Schönheit, ok, das sehen wir mit unseren Augen. Aber innere Schönheit? Mit welchen Augen sehen wir die? Mit unseren Seelenaugen? Und was ist innere Schönheit? Wenn jemand gut ist? Oder eine schöne Seele hat? Oder zuverlässig und real ist? Und ist ein guter Mensch automatisch auch eine schöne Seele?

Innere Schönheit – ein mythisches Trostpflaster oder real?
„Äußere Schönheit geht nur zentimeterweit“, „Außen hui, innen pfui“, „Die inneren Werte zählen“ „Ich bin lieber innen schön, als außen“. Das sind 4 von unzähligen Trostbonbons oder Redensarten, die suggerieren, dass innere und äußere Schönheit ein Kontrast sind, der sich gegenseitig ausschliesst. Diese weichgespülten Plattitüden werden meistens dann eingesetzt, wenn wir uns zurückgesetzt oder verunsichert fühlen. Zum Beispiel von Konkurrenz. Ich nehm mich da nicht aus. Wir saugen uns einen Allgemeinplatz aus den Fingern, um andere so herabzusetzen, wie wir uns herabgesetzt oder verunsichert fühlen. Ich muss wohl nicht großartig darauf hinweisen, dass, wenn man andere herabsetzen muss, um sich wertvoll zu fühlen, es nicht so weit her ist mit der eigenen „inneren Schönheit“. Aber wovon ich mich ausnehme, ist die gängige Idee, dass ein Mensch, der außen schön ist, innen häßlich ist. Sein muss! Sonst wäre das ja ungerecht. Und die Durchschnittsmenschheit will, nein, muss wohl an eine weichgespülte, binäre und simple „Gerechtigkeit“ glauben.

Teilweise trifft es ja auch zu, dass Menschen mit hoher Wertschätzung des Äußeren nicht mehr genug Kapazität haben, um sich auch noch um die innere Schönheit zu kümmern. Aber manchmal trifft es eben auch nicht zu und letztendlich ist es nur ein Vorurteil. Somit haben auch außen schöne Menschen mit Vorurteilen oder Schubladendenken zu kämpfen. Man merkt übrigens, dass viele anfangen sich gegen diese Vorurteile zu wehren. Auf der anderen Seite aber hat man natürlich auch die Katzenbergers, Hiltons und Konsorten, die voll auf die äußere Schiene setzen mit dem expliziten Ziel innen hohl zu sein. Was jedoch unstrittig ist, was tagtäglich durch eigene Beobachtung belegt werden kann und was bereits Platon erkannt hat: Äußerliche Schönheit spielt eine Rolle. Wir sind von ihr beeinflußt.

Aus dem Artikel „Schönheit“ in Wikipedia

In Platons Dialog Symposion erklärt die Priesterin Diotima ihrem Gesprächspartner Sokrates, dass jeder Mensch grundsätzlich schöne Körper mehr willkommen heißt als hässliche.

Platon hat Recht. Schönheit spielt eine Rolle, hat Gewicht. Innere und äußere Schönheit verändern Sitsuationen und Ausgangslagen.

Nun könnte einen ja der Gedanke beschleichen, dass die innere Schönheit vielleicht nur ein Mythos ist. Ein Trostpflaster, damit jeder sich schön fühlen kann, selbst wenn er es von außen erstmal nicht ist. Existiert also überhaupt sowas wie innere Schönheit? Ich bin der Meinung: Ja. Definitiv. Weil ich selbst schon schöne Seelen gesehen und gefühlt habe. Wichtig ist nur – wie immer – sich diesen platten, plumpen, simplen Betäubungsspritzen zu entziehen und gegen sie zu rebellieren: Äußere Schönheit schließt die innere Schönheit nicht aus. Punkt. Und umgekehrt hat nicht jeder, der normal oder gar häßlich aussieht, automatisch eine schöne Seele (das wäre nämlich ja der Umkehrschluß des Ganzen!).

Die häßlichen Entleins und die zickigen Schwäne
Was kriegen wir denn so beigebracht über die Schönheit? Märchen und Geschichten sind da immer ganz interessant, da sie oft den Allgemeinplatz destillieren. Nehmt das häßliche Entlein: Es scheint, dass viele Menschen glauben wollen, dass das häßliche, jedoch innerlich schöne Entlein, die wirklich, wahre, echte, tiefe Schönheit in der Geschichte ist und nicht der von außen schöne, jedoch oberflächliche, eingebildete und innen häßliche Zickenschwan. Ok, so weit, so gut. Aber dann wird’s gruselig: Durch diese „tolle, tiefe innere Schönheit“, die das häßliche Entlein hat, wird es nämlich dann auch zum äußerlich wunderhübschen Schwänelein.

Waaas? Warte mal! In Wahrheit heißt das ja nix anderes als: letztendlich ist das, was zählt nämlich doch die äußere Schönheit! Ohne die kann es keine Liebe, kein Glück, keine Gerechtigkeit geben. Und somit hat in dieser Geschichte das Gute in Form des benachteiligten häßlichen Entleins (dessen Benachteiligung einzig und allein darin besteht, dass es äußerlich „häßlich“ und anders als die anderen ist, was mich schon auf die Palme bringt!) über das Böse (die privilegierten, außen Schönen, deren Priviligiertheit einzig darin besteht, dass sie äußerlich schön und angepasst sind – und da bin ich schon wieder auf der Palme zu finden!) triumphiert. Dadurch, dass es auch schön wurde! Bullshit sag ich!!! Aber diese Geschichte spiegelt sicherlich das allgemeine Resentement wieder.


Ich bin gut. Aber bin ich auch schön in meinem Herzen?
Ist ein guter Mensch automatisch ein Mensch mit einer schönen Seele? Ich glaube nicht. Um niemandem zu nahe zu treten, erklär ich das mal mit mir als Beispiel: Meiner Meinung nach bin ich ein guter Mensch – und trotzdem würde ich nicht sagen, dass ich eine schöne Seele habe. Ich kämpfe allzu oft damit, dass ich Eifersucht und Verachtung verspüre. Dummheit und Ignoranz machen mich zornig. Ich hab Probleme manchen Menschen was zu gönnen. Das macht, dass ich meine Seele nicht als schön empfinde. Ich verabscheue diese kleinlichen, häßlichen Gefühle in mir. Gleichzeitig bin ich aber in der Lage andere Lebewesen losgelöst von mir wahrzunehmen, in ihren Bedürfnissen und Fähigkeiten. Ich hab einen sehr starken Gerechtigkeitssinn, bin empathisch und versuche ein guter, offener, ehrlicher Mensch zu sein. Das macht, dass ich mich als guten Menschen empfinde.

Also ich hab zwar kleinliche Ängste und Bedürfnisse, aber ich bin in der Lage deren Kleinlichkeit zu erkennen und mich davon zu befreien.

Ich sehe meine Seele wie einen verwachsenen, buckligen, vernarbten Baum. Mir geht es wie vielen, vielen anderen: Durch Umstände, bei denen ich nicht viel Mitspracherecht hatte, ist meine Seele als Kind so verstümmelt, gepeinigt und verletzt worden, dass sie bis heute die Spuren dieser Verstümmelung trägt. Damit bin ich nicht allein. Wir sind viele. Wir sind ganze Legionen. Wir sind ein Heer von verstümmelten Seelen. Ich hab zwar den Kern und die Ansätze für eine schöne Seele, aber das Leben hat diese Schönheit verdrängt und verändert. Aber meine Seele wird wieder schöner. Als würde ich jetzt, wo ich mich befreien kann von dem, was mir aufgebürdet wurde, zu meinem ursprünglichen ich zurückkehren und da anfangen, wo ich eigentlich hätte anfangen müssen, wäre nicht alles schiefgelaufen. Ich kann das regelrecht spüren und auch andere nehmen das wahr. Ich kann heute zum Beispiel großzügiger mit meiner Anerkennung sein, als ich es noch vor ein paar Jahre war. Das heißt: Wir sind nicht mit einer Seele geschlagen und müssen für immer damit leben oder darunter leiden. Wir können unsere eigene Seele schöner machen.


Erst die Fehlbarkeit macht eine Seele schön
Es gibt manche Menschen, auch wenn sie selten sind, die sind wie ein gerade gewachsener Baum. Es würde ihnen nie in den Sinn kommen aus Angst zu lügen. Oder eifersüchtig zu sein. Oder andere zu verachten. Das ist für sie einfach überhaupt keine Frage. Wo andere sich im Sturm biegen und sogar in ihm brechen, stellen sie sich ihm in dem Wissen entgegen, dass ihre Wurzeln tief genug, fest genug in der Erde verankert sind, dass ihr Stamm glatt, gerade und stabil genug ist, um jedem Sturm stand zuhalten. Sie fühlen sich stark und selbstverständlich da wo sie sind in der Welt. Eine Notlüge zu erzählen, weil man in die Ecke gedrängt wurde, erscheint ihnen einfach absurd. Total unnötig. Albern. Gerade stehen, einstehen, kostet sie weder Überwindung, noch Kraft. Diese Menschen sind aufrecht. Ich bin mir nicht sicher, ob ich so sein wöllte oder ob ich so jemand immer um mich haben wöllte. Aber es ist wohltuend so jemand ab und zu um sich zu haben, weil man sich auf ihre Geradlinigkeit verlassen kann. Ein aufrechter Baum ist zum Beispiel Gold wert in einer Führungsposition.

Diese Menschen sind zwar aufrecht, unterscheiden sich für mich aber von den guten Menschen und von denen mit einer schönen Seele. Warum fühle ich das so? Meine instinktive Antwort ist: Dazu fehlt ihnen die Fehlbarkeit. Was ein ganz interessanter Punkt ist, da es bedeutet, dass für mich ein guter Mesch sein oder eine schöne Seele zu haben, also eine Leistung darstellen muss, um zu gelten. Wenn Du nicht versucht wirst, ist es auch keine Leistung nicht zu fallen oder zu sündigen. Das wiederum bedeutet, dass ein guter Mensch und eine schöne Seele für mich fehlbar sind, aber dieser Fehlbarkeit nicht verfallen und sich dadurch über sie erheben. Oder ihr verfallen und dann daraus lernen.

Schön, wie ein sich zart entfaltendes Rosenblatt
Und dann gibt es eben diese Menschen, die wirklich eine schöne Seele haben. Die eine weite, große Seele haben. Die zwar erkennen und nachfühlen können, was Eifersucht ist, aber davon nicht geplagt werden oder sie überwunden haben. Die mit ihrer Seele über sich hinauswachsen können. Die die Fähigkeit haben Dir wieder Zutrauen in die Menschheit oder auch Dich selbst zu geben. Mit ihrer unrichterlichen Art, mit ihrem großen Herzen und ihrer Fähigkeit das besondere in allem zu sehen. Menschen ohne Übergriffigkeit ernst zu nehmen und zu unterstützen. Mit ihrer Fähigkeit Leidenschaft für etwas zu wecken oder uns zu zeigen, dass es innere Größe gibt und dass selbst wir die Möglichkeit zu dieser inneren Größe in uns tragen. Ich denke, die Quintessenz und das Besondere, das Schöne an diesen Seelen ist, dass diese Menschen in der Lage sind uns die Tür zu mehr zu zeigen. Ob das mehr Leidenschaft, mehr Stärke oder mehr Zutrauen ist. Sie machen uns mehr.

Gutschön schöngut
Ich hab ja oben schon beschrieben, dass ich denke, dass ein guter Mensch auch eine schöne Seele haben kann und vice versa. Jedoch glaube ich nicht, dass aufrechte Menschen eine schöne Seele haben können. Sie sind aufrecht. Nicht schön. Was auch nicht schlimm ist.

Ich glaube, der springende Punkt für mich ist der: Aufrechte Menschen machen uns passiv (=weniger oder gleich viel), während schöne Seelen uns aktiv (=mehr) machen. Aufrechte Seelen bieten Dir Schutz und Sicherheit, weil Du Dich an sie anlehnen und Dich unter ihrem schützenden Schirm verstecken kannst. Schöne Seelen bieten Dir Schutz und Sicherheit, weil sie Dir das Zutrauen geben, dass Du Dich nicht anlehnen und verstecken musst. Und das ist ein ganz anderes Kaliber!!!

Und ich?
Mein persönliches Glück, mein persönliches Ziel, auf das ich auch aktiv hin arbeite, wäre es, eine schöne, großzügige, weite Seele zu haben. Wirkliche eine innere Schönheit zu sein. Ich hasse die verkniffene Kleinlichkeit in mir, wenn ich jemand was nicht gönne, weil ich mich davon bedroht fühle. Oder die eiserne, kalte Rechtschaffenheit, wenn ich kein Verständnis habe, allein aus dem Grund, weil ich eifersüchtig bin.

Ja, ich schaffe es, mich immer mehr davon zu befreien und diese Gefühle durch andere Gefühle zu ersetzen, aber es kommt immer noch oft genug vor: Wenn zum Beispiel eine andere Person was gleich gut macht wie ich oder vielleicht sogar schlechter macht als ich und das als ganz toll angesehen und bemerkt wird, nur weil die andere Person sich als hilflos darstellt oder sich anpreisen kann, was ich nicht kann. Dann wird meine Seele häßlich und klein, zieht sich zusammen und ich werde rachsüchtig. Ich will dass die andere Person dafür büßen muss, dass sie damit durchkommt und ich zu kurz komme. Dass die Freude, auf die ich mich gefreut hab, mir gestohlen wurde. Ich verstehe schon, wo meine Gefühle herkommen, wir brauchen alle Anerkennung, dass jemand unsere Arbeit schätzt und anerkennt. Aber ich hasse diese Giftigkeit und diesen Neid an mir. Weil ich so nicht bin und nicht sein muss. Weil mein persönliches Glück und Wohlbefinden nicht von anderen abhängig ist. Weil das Können anderer das meinige nicht schmälert. Leider kann ich das nicht immer so fühlen oder leben. Aber ich bin auf einem guten Weg. Und das zählt.


P.S. Wie immer: Das sind keine allgemeingültigen oder feststehenden Gedanken/Begrifflichkeiten. Lediglich meine aktuellen Gedanken, Gefühle und Ideen. Wenn man mal drüber nachdenkt, ist Schönheit ein unglaublich interessantes Konzept und ich hab grad erst angefangen mich damit zu beschäftigen, wird also sicherlich noch paar Mal hier auftauchen.

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