Ok. Ich bin auf dem Weg zum Arzt. Während ich im Taxi sitz und nach draußen schau auf die vorbeifliegende Welt, lese ich wie Demi Moore als Kind emotional und sexuell missbraucht wurde und höre SZA zu, wie sie singt, dass sie hofft, dass der Mensch, den sie liebt nie herausfinden wird wie sie wirklich ist, weil er sie dann nie lieben könnte. Und ich denke: Wir haben all diese unglaublichen Möglichkeiten, all diese Kräfte – und wir benutzen sie, um uns immer kleiner und unwerter zu machen.
Ich lese im Guardian einen Artikel über Betrug in einer Beziehung. Eine Frau erzählt wie der Zusammenbruch ihrer Beziehung dazu geführt hat, dass sie das erste Mal gelernt hat ihre Gefühle wahrzunehmen. Mit ihnen zu sitzen und sie auszuhalten. Und dass sie ihre Gefühle faszinierend findet. Und ich denke: Wir haben all diese unglaublichen Emotionen – und wir tun unser Bestes, um nichts zu fühlen (außer eventuell „Glück“, das ist erlaubt. Aber nur bis zu einem gewissen Grad). Wir haben all diese Superkräfte – und wir benutzen sie, um uns immer weniger und kränker zu machen und uns gegenseitig oder selbst zu missbrauchen.
Und das nennen wir dann „Normalität“.
Letztes Jahr hab ich in einer Notoperation die Gallenblase entfernt bekommen. Die ersten Tage nach der OP war alles normal. Ich hatte das Gefühl als wäre ich nach der Vollnarkose plötzlich weg und danach plötzlich wieder da gewesen. Dazwischen? Nix.
Aber irgendwie, nach ein paar Tagen hab ich den Zipfel eines Bildes erwischt. Aus dem Augenwinkel heraus. Ich seh den OP-Raum von oben, von links oben. Seh die Menschen um mich herum und mich auf dem Tisch in Vollnarkose. Und gleichzeitig bin ich über allem, alles beobachtend. Ich bin links oben in dem Raum, direkt in der Ecke. Ich seh Geräte und Maschinen, die ich nie gesehen habe und kann sie beschreiben. Ich höre Lachen und Worte, ohne sie zu verstehen. Zuerst hab ich dieses Bild verworfen und mir selbst gesagt, ich soll aufhören darüber nachzudenken. Ich hab das Bild ganz nach hinten im Archiv verschoben. Aber immer wieder kam das Bild hoch und hat sich nach vorn gedrängt. Und irgendwann hab ich nachgegeben. Und hingeschaut und es anerkannt.
Ich tu mich besonders schwer mit sowas, weil ich so praktisch und total unesotherisch, unspirituell bin. Ich bin nicht für Humbug. Aber ich akzeptiere es inzwischen als wahr. Was bleibt mir anderes übrig? Warum sollte ich diesen Gedanken als unwahr empfinden, wenn ich alle meine anderen Gedanken als wahr beurteile? Nur weil dieser Gedanke nicht in unser Glaubensgerüst passt? Warum sollte plötzlich ein unwahrer Gedanke in meinen Kopf kommen? Und warum sollte es ausgerechnet dieser sein? Also hab ich beschlossen mich selbst ernst zu nehmen und diesen Gedanken, dieses Bild, als wahr anzunehmen. Was auch immer das heißt. Ich weiß, dass mein Gehirn und Wesen extrem durchlässig sind. Vielleicht ist das der Grund, warum ich etwas aus der Vollnarkose retten konnte, was uns normalerweise entgleitet?