Bis es keine Schlachtfelder mehr gibt

Ich hab zum Beispiel konkrete, verifizierte Erinnerungen, die zurück gehen bis in die Zeit als ich 8 Monate alt war. Das ist auch nicht üblich. Was ganz interessant ist: Die Kindheitserinnerungen an traumatische Situationen mit 8 Monaten, 3 Jahren, 4 Jahren kann ich nicht in (sachliche) Worte fassen. Aber ich kann sie malen. Und ich fühle die Gefühle. Wobei es meist nur 1 oder 2 Gefühle sind, aber die sind ganz, ganz stark. Und ich kann wirklich alles genau aufmalen – aber nur was in meinem Blickfeld war und oft ist das hervorstechend, was für mich von emotionaler Bedeutung war, das, an was ich mich irgendwie angedockt hab.

In einer Situation saß ich auf einem Küchenschrank und ich kann meine Hose, meine Schuhe, den Unterschrank, meine Hände, den Boden sehen und aufmalen, ich sehe es glasklar – aber ich hab keinerlei Worte, Gefühle, Bilder für den Küchen-Oberschrank, für meine Haare, mein Gesicht, meine Arme – da ist absolute Leere. Während ich meine Beine und Füße unter mir sehe, wie sie in der Luft baumeln. Sie glasklar sehe. So als würde es jetzt gerade stattfinden.

Ich glaube auch nicht, dass diese Erfahrung mit der Vollnarkose etwas ist, das aus meiner Vorstellungskraft entsprungen ist. Warum sollte ich mir plötzlich was „vorstellen“, etwas phantasieren, wenn ich mir sonst nie was „vorstelle“? Wahrheit ist für mich etwas, das außerhalb meiner eigenen Bedürfnisse existiert. Sie ist für mich so real wie ein Mensch oder ein Haus. So real wie ich selbst. Nichts, was ich herumschubsen und dem ich meinen Willen aufzwingen darf.

Und dann, ganz plötzlich, passiert was, während ich noch auf all dem herumkaue: Ich hab nie in Frage gestellt, dass Angst Angst macht. Aber plötzlich kommt mir das so komisch vor. Ganz fremd, total abstrus und albern. Warum sollte ich Angst vor der Angst haben – außerhalb der Sorte Angst, wenn man körperlich verletzt oder bedroht wird? Warum sollten wir praktisch unser gesamtes Sein daran ausrichten, dem, was wir negative Emotionen nennen, auszuweichen? Wir entwickeln ganze Identitäten allein mit dem Ziel negative Emotionen umzudeuten und sie vor uns und anderen zu verstecken.

Warum sollte ich Angst haben vor Angst? Oder Zurückweisung? Oder Schmerz? Das sind doch nur Gefühle und Ereignisse. Nicht anders als Glück. Sie haben eine Daseinsberechtigung, eine Funktion und eine Dauer. Warum sollte ich sie nicht willkommen heißen als Symptom von etwas? Und warum sollte ich überhaupt ein „glückliches“ Leben haben wollen? Damit andere mich akzeptieren, damit ich passe, damit ich immer mehr Zeug kauf, Kurse beleg, „an mir arbeite“ weil ich jetzt ja noch nicht rundum „glücklich“ und „in Kontrolle“ bin und daher irgendwas an mir falsch sein muss?

Warum ist es nicht einfach mein verdammtes Ziel zu leben? Als ich. Mit allem, was mein Körper, das Wunderwerk, in der Lage ist zu erzeugen und herzugeben: Tränen, Wut, Angst, Glück, Verunsicherung, Zufriedenheit, Stolz, Schweiß, Überforderung, Müdigkeit, Entschlossenheit. Wir sagen: Wir wollen „an uns arbeiten“, um „glücklich“ zu sein. Wo wir doch alle wissen, dass es keinen Zustand gibt, der immerwährend ist. Was bedeutet, dass wir immer diesem „Glück“ hinterher jagen werden. Wir werden nie genug sein. Wir stellen uns „glücklich“ sein als etwas magisches vor. Ein Schalter, der umgelegt wird und dann ist all die Mühsal vorbei.

So ein Bockmist! Warum glaub ich so einen Scheiß?

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